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Lasst eure Kinder in Ruhe

Lasst eure Kinder in Ruhe

Titel: Lasst eure Kinder in Ruhe
Autoren: Wolfgang Bergmann
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die besagen, dass bereits bei 20 bis 25 Prozent der Grundschulkinder über längere Zeiträume hinweg »Depressionen« beobachtet wurden. Die Ursache für diese Depressionen ist weitgehend im Übereifer vieler Eltern und Pädagogen zu suchen, die die Kinder in ein angstbehaftetes hastiges Lernen ohne Raum und Muße für tiefere Emotionen treiben.

    Ganz klar ist die Aussage der Lernforschung hierzu: »Ein rein abstraktes Lernen gibt es nicht. Wer das Gelernte nicht zu Hause in seiner Umgebung, in seinen sozialen Gruppen mit Erfahrungen verknüpfen kann, löscht alles wieder aus.« 2
    Ein Kind, das mit drei Jahren Englisch lernt, aber nie in einer englischsprachigen Umgebung weilte, vergisst jedes einzelne Lernsegment sofort wieder. Und die Erinnerungen an die schöne Kinderzeit, die dabei vergebens vergeudet wurde? Nun, eben die fehlt beim späteren Lernen. (Spielen ist »Welterwerb«, die höchste geistige Tätigkeit eines Menschen, nicht nur der Kinder. Sagt Schiller. Es ist geistiges Tun, im freiesten und schönsten Sinn! Jede Stunde, die davon versäumt wurde, fehlt später – wir vergeuden so viel Zeit und bereuen es! Meist zu spät. Verworfene Lebenszeit.)
    »Mit Erfahrungen verknüpfen« – das ist ein uralter pädagogischer Lehrsatz. Ist es nicht geradezu skurril, dass solche gesicherte Pädagogik in den Förderprogrammen schlicht übersehen wird? Oder nicht gewusst? Nie davon gehört?! Es ist ein echter Skandal, wie Kinder beim Lernen und Eltern beim Geldausgeben an der Nase herumgeführt werden.
    Auch wenn ich Englisch mit einer Abenteuergeschichte versehe oder mit einem Lied lerne, prägt es sich nicht wesentlich anders ein als das rein bezugsleere, abstrakte Englisch. Ihm fehlt die Bestätigung durch die körperlichen und geistig eigenen Tätigkeiten des Kindes. So einfach ist das.
    Erst wenn die erfahrungsgesättigten Verknüpfungen
wieder und wieder verwendet, angewendet wurden, möglichst oft im Flow-Zustand, erst dann stellt sich Lernen ein im Sinne von »Behalten und Fühlen«.
    Die Angst mancher Eltern, dass ihre Kinder bestimmte Erfahrungen zu spät machen und sich »Lernfenster« wieder schließen, gilt nur für wenige Fähigkeiten – und auch dies nur bei extrem vernachlässigten Kindern. Beispielsweise bei den Waisenkindern im sozialistischen Regime in Rumänien. Jahrelang isolierte und traumatisierte Kinder entwickeln in der Tat grundlegende Sprechunfähigkeiten. Da schließen sich die »Fenster der Zeit und der Seele«, und die Lücken sind nur sehr schwer oder nie nachzuholen.
    Aber dies waren Einzelfälle, betont Elsbeth Stern im oben genannten Stern -Ratgeber Bildung. Die allermeisten Kinder entwickeln ihre Sprachfähigkeit, ganz egal, ob sie »in einem teuren Haus oder in einem ärmlicheren aufwachsen. Da müsste man schon sehr eingreifen, um dies zu verhindern.« Die Lernforscherin, eine der anerkanntesten in Europa, geht noch weiter. Sie sagt: »Wer sein Kind aus Überehrgeiz zu früh pusht, zerstört schlimmstenfalls seine wichtigste Fähigkeit: Er nimmt ihm den Antrieb, eigene Fragen zu stellen.«
    Kinder können ohnedies erst ab etwa vier Jahren über Instruktionen – also methodische Lernschritte, wie in der Frühförderung – »lernen«. Erst dann sind sie in der Lage, zu erkennen und anzuerkennen, dass die andere Person ein anderes Wissen hat als sie selber. Erst dann sind sie in der Lage, Lernerfahrungen auszutauschen.
    Frau Stern streng: »Eltern, die schon Dreijährigen
Druck machen, versündigen sich an ihren Kindern.« Damit sind wir immer noch bei Kant, aber auch bei dem auf diesen Geist aufbauenden Erfinder der Kindergärten, Fröbel. Es geht dabei um eine große und großartige Geistesgeschichte der Selbsterhellung des menschlichen Geistes. Die Pädagogik sollte ein Teil von ihr sein und nicht ihr dumpfer Widersacher.
    In demselben Gespräch mit dem Stern -Ratgeber Bildung bemerkt die Lernforscherin Elsbeth Stern dann auch ausdrücklich, was ich in anderen Kapiteln dargestellt habe. Ich zitiere noch einmal: »Auf einem ganz anderen Gebiet können Eltern schon von der Stunde der Geburt an viel für ihr Kind tun.« Das erklären die Lernforscher und Praktiker, Peter Fauser und Elsbeth Stern, fast wortgleich.
    Was also sollen gute Eltern tun? Hören wir, was die neuere Forschung und das alte philosophische Wissen sagen: »Kuscheln, erzählen, vorlesen, sich Zeit nehmen. Emotionale Sicherheit und eine stabile Bindung gelten als Grundvoraussetzungen für erfolgreiches
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