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Lasst eure Kinder in Ruhe

Lasst eure Kinder in Ruhe

Titel: Lasst eure Kinder in Ruhe
Autoren: Wolfgang Bergmann
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traurig aufzugeben. Sie sind immer auf dem Sprung dahin, sich selber zu entwerten.
    In einer Reportage des Deutschlandfunks hieß es: »Diese Kinder schöpfen aus der Bindung die Kraft für neue Kreativität ein Leben lang.« Das ist ein Zusammenhang, den viele bildungsbewusste Eltern übersehen, wenn sie ihre Kinder bereits im frühesten Alter mit Sprach-, Kunst- und Sportangeboten überfüttern.
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    www.dradio.de/dlf/sendungen/studiozeit-ks/1162159 , Deutschlandfunk, 15.04.2010
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    Ebd., auch im Folgenden
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    Ebd., auch im Folgenden

    Alles fließt und prägt sich ein ...
    FLOW – SO BEGINNT GUTES, SINNHAFTES LERNEN. Und umgekehrt stimmt auch das: Falsches, ängstigendes Lernen macht dumm. Ein die Egozentrik stimulierendes Lernen – und davon wird man ein Lernen auf »der Überholspur« kaum freisprechen können! – behindert die Intelligenz und den sozialen Charakter eines kleinen Menschen. Was ist also gutes Lernen, richtiges Lernen, das den Charakter und die Intelligenz schult?
    Professor Fauser aus Jena, wo ein großes Experimentierfeld für das »Lernen lernen« von Wissenschaftlern aufgebaut wird, erklärt diesen Zusammenhang so: »Lernen ist ein hoch komplizierter und störanfälliger Prozess. Denn das menschliche Gehirn lernt immerzu, auch unter den schlimmsten Bedingungen, unter Schmerz, Ekel oder durch schockierende Erlebnisse.« 1 Da wird ganz klar, dass das, was ich mit Kant »Gemütsgewissheit« nenne, höchst störanfällig ist. Deswegen muss alles, was Angst macht, was bedrückt und in Rivalitäten (dem Gegenteil vom Sozialen) zwängt, bei gutem Lernen ausgegrenzt werden.
    Professor Fauser weiter: »Für das optimale Lernen braucht es Neugier, ein mittleres Erregungsniveau und Angstfreiheit.« Angstfreiheit! Haben Kinder schon im Kindergarten zu rivalisieren gelernt, mischt sich ihre
Angst, dass sie zurückbleiben, in jeden Lernvorgang. Die Angst wird sozusagen mittrainiert.
    Stattdessen geht »optimales« Lernen so: Die Kinder erleben ihre Kompetenz. Das macht sie froh und bestätigt ihr kleines Selbst. Die Folge: Jetzt sind sie ganz versunken in stimulierende und spannungsreiche Aufgaben. Dies nennen Lernforscher »Flow«.
    Gemeint ist ein fast seliger Zustand völliger Konzentration. (Schon bei solchen Gedanken geht manchen Eltern das Herz auf. Das haben sie bei ihrem Sohn oder Töchterchen kaum je erlebt. Aber sind sie nicht oft selber mit schuld daran?) Alle Kinder haben die Begabung zu diesem Flow. Wenn er nie auftaucht beim Lernen, dann ist in der Entwicklung dieses Kindes und bei seinem aktuellen Lernen bereits etwas schiefgelaufen.
    Flow ist die konzentrierteste und schnellste Form des Lernens. Das Gehirn belohnt sich selbst mit körpereigenen Opiaten (Dopamin, Oxytocin) für seine Arbeit. Diesen Zustand verlangt das Gehirn, wenn es ihn erst einmal eingeprägt bekam, immer wieder.
    Jetzt fängt Lernen an, richtig Spaß zu machen. Warum? Weil es den Stolz auf die eigene Kompetenz erhöht, weil es das beseligte Flow ermöglicht und weil Verstehen an sich ein Kind froh macht.
    Alle körperlich-sinnlichen Kräfte werden integriert, eingebunden in alle vorausgehenden Liebes- und Entdeckungsphasen der Kindheit, in seine »Gewissheiten« – hoch konzentriert, wie ein Schweben, ein Gleiten. Jetzt erfasst der kindliche Verstand auch die ersten abstrakten Einsichten, es lernt Entfernungen einzuschätzen, es beginnt
zu zählen, die vielen aufregenden Objekte der Welt bekommen einen Sprachlaut zugeordnet, einen Namen. Sie ordnen die Welt geistig. Ein gleitendes Erleben und Erfahren.
    Kinder lieben die Dinge, mit denen man spielen kann, sie lieben die ersten Sprachfetzen, die sie schließlich, stolz und vergnügt, zum ersten zusammenhängenden Satz steigern, und Mama und Papa lieben sie noch mehr als alles andere.
    Und die Angst? Dazu sagt im Stern -Ratgeber Bildung »Die beste Schule für mein Kind« die Lernforscherin Elsbeth Stern aus Zürich: »Wir können unter Angst sehr gut lernen – aber nur Flucht und Vermeidung.« Ein Satz wie ein Menetekel.
    Wenn wir Kinder schimpfen (»Nun lern endlich für deinen Mathe-Test, der letzte ist schon schiefgegangen!«) oder wenn wir sie mit den Lernleistungen des vierjährigen Kumpels im Kindergarten vergleichen – all das ist Angst. Was folgt daraus? Noch einmal die Lernforscherin: »Flucht und Vermeidung.«
    Die Kinder wollen dann weg, sie strampeln oder sie knicken ein, wenden sich sogar selbstzerstörerisch gegen sich selber. Es gibt Untersuchungen,
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