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105 - Der Ruf nach Freiheit

105 - Der Ruf nach Freiheit

Titel: 105 - Der Ruf nach Freiheit
Autoren: Stephanie Seidel
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Der Schrei des Verstümmelten gellte durch die Winterdämmerung, anhaltend und schrill. Kettenklirrende Unruhe entstand unter den Sklaven. Manche sahen sich um, als wollten sie flüchten, andere sprachen erregt aufeinander ein.
    David McKenzie in der vordersten Reihe drohte sogar mit der Faust. Sein Nebenmann schlug sie hastig herunter, ehe es einer der Wächter bemerkte.
    Dicht gedrängt verharrten sie auf ihrem Platz - die Unfreien der Meera-Insel Eilov Duum . Dreißig Männer verschiedener Herkunft, von Piraten verschleppt und verkauft. Große starke Männer vorwiegend, in deren Augen der Wunsch zu töten brannte. Ihr Hass schlug dem Sklavenhüter fast spürbar entgegen - aber keiner von ihnen wagte sich von der Stelle, um dem Opfer zu helfen.
    Felik spürte keinen Schmerz. Noch nicht. Sein Bewusstsein hatte sich abgeschaltet beim Anblick des Stiefels, der ein Stück entfernt im Schnee steckte. Aufrecht, mit Feliks Fuß darin.
    Gelblich und zersplittert ragte der Knochen über den Rand.
    Der Sklavenhüter ließ seine Axt zu Boden gleiten und lehnte sich neben Felik an den mächtigen schwarzen Pfahl. »Ich nehme an, du wirst mir nicht sagen, wer dir das nötige Hirn geliehen hat für deine Flucht?«, fragte er im Plauderton und nickte dann.
    »Auch gut. Nimm dein Wissen mit ins Grab. Wir finden den Mann - es ist nur eine Frage der Zeit.«
    Ohne erkennbare Gefühlsregung musterte er das fahle, verzerrte Gesieht des wimmernden Sklaven. Felik hatte kein Wort verstanden. Schweiß stand ihm auf der Stirn, und er zuckte unkontrolliert. Aus dem Beinstumpf pulste Blut. Der Sklavenhüter fluchte, als sich ein Schwall über seinen Stiefel ergoss.
    »Mach mal Platz, Gosta!« Liand kam heran, der Heiler des Dorfes. Er wedelte ungeduldig mit der Hand. Gehilfen schleppten einen Kessel hinter ihm her, von beißendem Gestank umwabert und in Dampfwolken gehüllt. Als sie ihn abstellten und der Inhalt sichtbar wurde begann Felik zu kreischen.
    Mit irrem Blick und verzweifelten Verrenkungen versuchte er der grausamen Tortur zu entgehen, die ihm doch das Leben retten konnte. Auf ein Zeichen des Heilers hin packten die Gehilfen zu, zerrten Feliks zerfetztes Hosenbein hoch und zwangen den Stumpf in den Kessel hinein. Es brodelte und zischte, als er in das kochende Pech eintauchte. Feliks Stimme kippte; er röchelte ein paar Mal, dann war er still.
    Am Rande des Platzes begann Dave McKenzie zu taumeln.
    Grau im Gesicht, presste er eine Hand auf den Bauch, fiel auf die Knie und erbrach sich in den Schnee.
    Gostas Kopf flog herum. »Was steht ihr noch da und glotzt?«
    Der Sklavenhüter riss die Faust hoch. »Macht euch an die Arbeit! Los, los - auf den Weg mit euch!«
    Die Sklaven wandten sich ab, den Blick zum Boden gerichtet.
    »Das gilt auch für dich, McKenzi!«, brüllte Gosta dem verkrümmten, keuchenden Mann zu. Dann verbesserte er sich:
    »Das gilt ganz besonders für dich!«
    Professor Dr. David McKenzie machte nicht den Fehler, Gosta anzusehen. Den Kopf gesenkt und nach Atem ringend, blinzelte er die Tränen fort, schluckte ein paar Mal und fuhr sich mit zitternder Hand über den Mund. Jemand griff nach ihm.
    »Komm schon, Dave!« Rulfans Stimme war ruhig. Der hellhäutige Albino mit den roten Augen ließ nicht los, ehe sein Freund wieder fest auf den Beinen stand. Anders als Dave McKenzie starrte er dabei den Sklavenhüter unentwegt an.
    Gosta hatte sich schon wieder dem Marterpfahl zugewandt.
    Dort erwartete ihn ein vorwurfsvoller Blick. Liand, der Heiler, hatte soeben seine Arbeit beendet.
    »Was ist?«, fragte Gosta missmutig.
    »Musste das sein?« Liand wies auf den Beinstumpf.
    Gosta zog die Schultern hoch. »Der Kerl hat versucht zu fliehen. Ich musste ein Exempel statuieren…«
    »Das meinte ich nicht.«
    Gosta wartete vergebens auf eine Erklärung. Stirnrunzelnd musterte er den grau gelockten Mann, der wie schützend über seinen Töpfchen und Leinenstreifen hockte. Und plötzlich begriff er.
    »Er wird sterben?«, fragte er.
    »Was erwartest du - bei der Menge Blut, die er verloren hat?«, brummte der Heiler, während er den Rest einer grünen Paste von seinen Fingern streifte und den Tiegel verschloss. »Du verschwendest meine Medizin! Wenn du dir deine Sklaven erhalten willst, sei etwas wählerischer in deinen Methoden.«
    Ächzend stand er auf.
    Gosta wandte sich um und gab seinen Leuten das Zeichen zum Aufbruch. »Wenigstens konnte er sich vorher noch nützlich machen«, brummte er. »Einen weiteren Fluchtversuch
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