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Lasst eure Kinder in Ruhe

Lasst eure Kinder in Ruhe

Titel: Lasst eure Kinder in Ruhe
Autoren: Wolfgang Bergmann
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kompliziertere, vielfältigere, wärmere, klügere – und, wie wir sahen – auch moralischere, als solches verplantes Lernen bedenkt. Wirkliches Lernen ist insofern immer ein Denken und ein Mit-Denken, ein Denken mit den anderen. So eröffnen diese mir immer neue Gedanken, die die eigenen überschreiten. Kreativität und Lust auf die Welt, und dann auch noch das verträumte Ganz-allein-im-Spiel-Sein und ebenso auch das Spaßige mit den anderen Kindern, mal laut und quietschig, mal leise und konzentriert – aus all dem ergibt sich Gemeinschaftlichkeit. Nicht einfach als eine »Du sollst das!«-Forderung,
sondern als eine Eigenheit, als innere Wahrheit des Kindes.
    Im Übrigen: Wenn wir in die Jugendgefängnisse schauen, dann finden wir zu weit über 90 Prozent bindungsgeschädigte Menschen, bindungsverarmte Menschen, arm und hilflos in ihrer Selbstdestruktivität.
    Jedem Stückchen Kinderleben, das diese Verarmung unterstützt, müssen wir uns entgegenstellen, und jedem kleinen bisschen Leben, das sich mit der Moral verschwistert und mit der Liebe, müssen wir Kraft geben. In der »Exzellenzpädagogik« spielt dies alles keine Rolle. Verabschieden wir uns doch einfach von ihr.
    Geben wir unseren Kindern stattdessen Freizügigkeit und Herzensgüte – besonders als Eltern. Wir haben dann zwar immer auch noch maulige Kinder, mürrische Kinder, trotzige Kinder, aber niemals solche, die ganz und gar in die Irre gehen.
    Fröbel sagte, dass alles, was ein Kind braucht, in einer guten Erziehung dies sei: »Vorbild und Liebe«. Vorbild freilich meint nicht, dass einem Kind gezeigt und vorgemacht wird, wie man sich richtig verhält. Vorbild ist bei Fröbel etwas viel Tieferes, es umschreibt das ganze Sein eines guten Pädagogen, seine Gefühle, seine Blicke, sein irdisches und überirdisches Dasein.
     
    Ich hatte vor einiger Zeit eine Begegnung mit einer jungen Grundschullehrerin. Sie war relativ unerfahren, aber ein liebevoller Mensch. Sie hatte eine 1. Klasse vorgefunden, in der es drunter und drüber ging. Von den 25 Kindern wären fünf oder sechs unter das sogenannte
ADHS-Syndrom gefallen, mindestens drei Mädchen hatten andere seelische Störungen. Es war ein Trubel und ein Lärm wie in einer Fabrikhalle.
    Die junge Frau pochte nicht auf Disziplin, sie knallte nicht mit irgendeinem Lineal auf das Pult, nein, sie schaute mich ganz vergnügt an und sagte: »Wissen Sie was? Die wollen alle nur geliebt werden.« Eine Fröbel-Schülerin, ob es ihr bewusst ist oder nicht.
    Und es gelingt, es gelingt übrigens immer wieder. Kein Kind kann der Liebe widerstehen, solche Kinder gibt es gar nicht.
    Keine zwei oder drei Wochen brauchte diese junge Frau, um ihre Klasse »im Griff« zu haben, aber nicht im harten disziplinarischen Griff der Bedrängung und Ängstigung, sondern im Halt der Liebe. Wenn sie die Klasse betrat, dann war das für diese an dissoziale gesellschaftliche Verhältnisse gewohnten Kinder wie ein neuer Erlebnisraum. Ihr Körper, ihre Stimme, alles prägte sich neu, und für die Kinder begann in den Stunden mit ihr eine andere Welt. Sie horchten, sie horchten auf, sie gehorchten ihr, es waren die ruhigsten Stunden in der ganzen Schule. So ist Pädagogik »exzellent«.
    Diese Lehrerin hätte bei einem dieser klugen Menschenerzieher – Fröbel war nur einer davon – gelernt haben können. Sie drang vermutlich mit einer klugen Intuition in das individuelle Lernen und das soziale Geschehen ringsum ein – und gewann. Dies kann man alles an großen Pädagogen lernen, wenn man nicht immer nur nach »Methode, Methode, Konzept« schielt, sondern nach den Kindern.

    1
    Zitat aus dem Stern -Ratgeber Bildung »Die beste Schule für mein Kind«, Heft Nr. 1/2010, auch im Folgenden
    2
    Ebd.
    3
    Ebd., auch im Folgenden

    »Alles wird anders und neu!« Der geheime Auftrag von Bildung
    »MIT JEDEM KIND BEGINNT DIE WELT NEU«, sagt ein chinesisches Sprichwort. Der jüdische Prophet und Menschensohn Jesus teilte diese Haltung. Die Kinder beginnen die Welt von vorn, in ihnen wird die menschliche Entwicklungsgeschichte noch einmal durchlaufen. Von den frühesten amphibischen Anfängen bis in den allerersten Schrei, die allerersten Spuren von Bewusstheit, Erschrecken und Fremdheit: Alles ist in dieser kleinen Existenz versammelt.
    Ein Kind ist bereits vor, während und nach der Geburt viel mehr als das Individuum, zu dem es heranreifen wird. Es ist Teil der Menschengeschichte, Teil des Weltgeheimnisses, aus dem das Menschsein
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