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Lasst eure Kinder in Ruhe

Lasst eure Kinder in Ruhe

Titel: Lasst eure Kinder in Ruhe
Autoren: Wolfgang Bergmann
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ganz andere Herausforderungen auf Pädagogik und Bildung zu.
    Nur wenn das Kind seinen Geist ganz körperlich-konkret erlebt und ihn dabei gleichzeitig – wie oben skizziert – in diesen »sphärischen Kognitionen« entfalten darf, nur angesichts dieser Komplexität, die in ihm reift, wird es seine Zukunft bestehen. Ob es mit drei Jahren schon chinesische Worte nachplappert oder nicht, spielt dabei nicht die geringste Rolle. Das Kind, das den Reichtum der Welt zugleich aus den Dingen und im Mitschwingen mit den Dingen aus sich selbst schöpft – nur solch ein Kind kann sich zurechtfinden im wirren Garten moderner Überflussinformationen und -bilder.
    Jetzt legt es die Grundlagen für dieses schwierige spätere Durchdringen der realen Welt von morgen, der Geschäftswelt ebenso wie der Kommunikationen über Fernräume, der Überfülle an Bildern und Zeichen.
    Die übereilte, hektische und das Einzelschicksal vernachlässigende Förderpädagogik liefert die Kinder einer
autoritären Ordnung aus. Alles hört auf mich! So gelenkt und in geistige Abhängigkeit versetzt – in jeder Trainingseinheit erneut – macht unruhig, beklommen. Woher die geistige Ordnung schöpfen? Solch einem Kind wird genau die schöpferische Gabe genommen, die in der Bildtechnologie unserer Zeit zu einem wichtigen Faktor des Lebenserfolges geworden ist.
    Vielleicht ist es überspitzt, wenn ich sage: Dieses frühe Trainieren, etwa mit Chinesischkursen, um später das globale wirtschaftliche Geschehen auf den Weltmärkten mitzugestalten und zu lenken – ausgerechnet diese Kompetenz wird den Kleinen in diesen Kursen ausgetrieben.
    Liegt das nicht auf der Hand? Wer später lenken und leiten will, muss heute im Erwerb der Weltdinge Ruhe in sich finden, Konzentration nach innen und nach außen. Wie soll ein Dreijähriges denn ruhig werden angesichts der Unruhe und des Eifers rings um es herum, dem Drängeln von Eltern und Erziehern: »Du musst jetzt aber auch mal mitmachen!«? Wie soll es denn angstfrei leben angesichts so viel beklommener Zukunftsangst, bei den Eltern selber, aber auch im ganzen »Setting« der hastigen und engen zielpunktgenauen Förderungen?
    Wenn ein Kind die selbsttätige Eigenart seiner Talente und Strebungen nicht früh im Kern seines Selbst spürt, dann hat es in der Zukunft wenig Chancen. Es eilt von Anpassung zu Anpassung, es hetzt sich selbst – und wohin? Nirgendwohin!
    Ein weiterer Gedanke schließt sich unmittelbar an.
    Wir wissen heute, wie sehr ein Säugling, wenn er geboren
wird, die ganze Welt verändert. Nicht nur im spirituellen Sinn, den ich eben anführte. Viel konkreter: Er verändert seine Eltern, er gestaltet seine Umwelt, die Familie ist nie wieder dieselbe, wie sie vorher war. Nie wieder!
    Professor Winkler sagt dazu: »Man denkt immer: hilfloses Kleinkind. In Wirklichkeit sind das Gestalter der Welt und Gestalter seiner selbst. Eine ganz elementare Freiheit: Ich bin Herr meiner selbst und Gestalter meiner, brauche dazu aber immer wieder Unterstützung und brauche die Anregung der Welt, und das ist genau das Zentrum des Fröbel’schen Denkens«, ergänzt Winkler, das ist »eine aktuelle Botschaft. Die Pädagogik hat über weite Bereiche nicht begriffen, dass sie diese Freiheit, die Anerkennung der Subjektivität (…) als Gestaltungsprinzip zu verwirklichen hat.«
    Was wir heute erleben, meint Winkler, sei ein »Missbrauch in Einrichtungen, sind Grundvergehen gegen pädagogisches Handeln, weil damit die Freiheit vernichtet wird, weil da Menschen Zwang angetan wird, und das kann nicht Pädagogik sein.«
    Ist das erfrischend, eine so klare Sprache aus dem universitären Erziehungs- und Forschungsfeld zu hören! Der Mann – ich kenne ihn persönlich gar nicht – ist mir geradezu ans Herz gewachsen!
    »Zwanggang« schreibt er – wo geschieht dies wohl aufdringlicher, als wenn ein Zweijähriges an die Hand genommen und zu »Lerngegenständen« gelenkt wird, wenn sein freies, hochkomplexes seelisches Leben reduziert wird auf eine »Motivation«, wie die Pädagogen sagen?
Wenn seine reiche Welt zu einer Welt des gelernten Wissens wird?
    »Die Freiheit wird vernichtet, dem Menschen wird Zwang angetan«, so der Jenaer Professor. Mit jedem Wort hat er recht.
    Gewiss, auch bindungsverarmte Kinder erkunden die Welt, tun dies aber mit spezifischen Störungen. Mindestens mit dem Risiko von Defiziten. Sie gehen ein ungleich höheres Risiko ein, langfristig ihre Motivation zu verlieren, bei geringsten Rückschlägen
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