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Lasst eure Kinder in Ruhe

Lasst eure Kinder in Ruhe

Titel: Lasst eure Kinder in Ruhe
Autoren: Wolfgang Bergmann
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erst einmal auseinandernehmen. Wer weiß, welche Geheimnisse sich darin verbergen. Natürlich sieht der hinterher anders aus als vorher! Bis hin zu der Vase selber, die sicher mal ganz kostbar war, aber leider eben auch exakt studiert werden musste, bis in die Feinsplitterung des kostbaren Materials hinein (nun ja, so richtig kostbar ist sie jetzt eigentlich nicht mehr). Das alles ist der Preis, den liebevolle Eltern nun einmal für die lebendige Lebens- und Lernlust ihrer Kinder zahlen müssen – sie tun es meist gern.
    Diese unter der kaputten Vase verstreuten Blumen – nein, die dürfen kein Anlass dazu sein, ein Kind über Ordnung zu belehren. Sie sind vielmehr ein hervorragender Anlass dazu, mit dem Kind die Blumen noch einmal genauer anzuschauen, ihre schöne Gliederung und die feinen Verästelungen, ihre Farbe und Form. Das Kind staunt, und wenn es sich erst einmal so richtig eingefühlt hat in die vielen schönen Teile einer Blume plus Blumenvase,
dann tut es dem kleinen Feingeist doch irgendwie leid, dass Blume und Vase keine richtig schöne Eintracht mehr darstellen. Wir dürfen den Sinn für Schönheit unserer Kinder keineswegs unterschätzen!
    Am Ende tut es den meisten richtig leid, dass sie den Strauß so zerdeppert haben, und sie legen die Blumen bekümmert um die Vase herum. Nun haben sie doch noch ein Stück Aufmerksamkeit und Selbstbeschränkung in der elterlichen Wohnung in sich aufgenommen, ganz ohne Ermahnung und ohne Disziplin. Aus dem eigenen Erleben nehmen sie es auf, bis tief in ihre Gewissensbildung hinein.
    Eine mahnende, von außen aufgestopfte disziplinierende Regulierung ihres Verhaltens hingegen stiftet kein Bedauern und keine Gewissensimpulse, dafür ist sie viel zu erfahrungsleer. Sie kann in der Kinderseele nicht wirksam werden.
     
    Schauen wir weiter, wie wichtig bei Kant und bei Fröbel das Miteinander im Spiel und das Sammeln von Erlebnissen und Eindrücken mit anderen Kindern ist. Dies ist der soziale Kern allen guten Lernens. Es wird in der Pädagogik beharrlich gering geschätzt.
    Statt der freien und durch den sozialen Charakter spielerisch-empfindsamen Tätigkeiten tritt hier eine Pädagogik auf, die sich in Stil und Inhalt nicht am Kind, sondern an den Erscheinungsformen der Finanzwirtschaft orientiert. Schicke Flyer, vollmundige Versprechungen, am liebsten elektronisch aufbereitet – das mutet ganz modern und schnittig an, bricht aber in die Kinderwelt
ein wie ein Fremdkörper, ein Alien. Das schöne, jetzt vielleicht chaotische, aber gleich wieder geordnete und rücksichtsvolle Gemeinschaftsgefühl wird davon nur gestört.
    Dass der große Schritt vom kleinkindlichen Egoismus zum Wir überhaupt von (fast) allen Kindern letztlich doch gelernt wird, ist wie ein kleines Wunder. Diese große Kinder-Einsicht: »In einer Gemeinschaft erlebe ich alles viel intensiver, ich schaue meinen allerbesten Freund an und wir lachen, wir haben ja grad ein wunderbares Rätsel gelöst.« Das Wir ist schöner und runder und vollkommener als das Ich. Dies zu verstehen – was für ein enormer Entwicklungsschritt!
    Aber unser Kind schafft ihn. Allerdings nur, wenn ihm nicht ein besserwisserischer Pädagoge oder sonst wer vor der Nase sitzt und dauernd stört und überhaupt viel zu viel redet.
    Und wieder gilt: Dieses innere Erleben, ob allein oder in einer Gemeinschaft, darf nicht von äußerlichen Normen und Ordnungen durchtränkt sein. Dann ist es kein liebevolles und verspieltes Erleben mehr, sondern Aufgabe, korrekt auszuführen. Dann wird der kindliche Geist müde und wehrt ab.
    Wir verstehen also, was zu weiten Teilen Bildung ausmacht: das innere freie Fließen von wichtigen und kreativen Motiven, Bildern, Gedanken, mal allein, mal in Gemeinschaft, das ein Kind während seiner vielfältigen Entdeckungen des Tages braucht. Inmitten von solchem Erkennen der Welt lernt es sich selbst als einzigartiges Individuum und als soziales Wesen kennen.

    So schön und spannend ist Lernen – Was die Wissenschaftler dazu sagen
    MIT GANZ ÄHNLICHEN WORTEN umkleidet die moderne Wissenschaft vom Denken und Bilden die Reifungsstufen der »Welterfahrung« eines Kindes. Große Worte, aber sie sprechen von ganz konkreten Lernerfahrungen, solche des Herzens und solche der Vernunft.
    Der Erziehungswissenschaftler Ludwig Liegle, Universität Tübingen und Experte für Bildung in der frühen Kindheit, bedient sich bei der Beschreibung gern beim lebensnahen Fröbel. Und weil in der Pädagogik wie in allen
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