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Lass mich in Dein Herz

Lass mich in Dein Herz

Titel: Lass mich in Dein Herz
Autoren: Julia Arden
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1.
    D a waren sie wieder, diese tiefblauen Augen. Seit zwei Wochen begegneten sie ihr Tag für Tag in der Verhandlung. Andrea dachte jedes Mal unwillkürlich an die klare Oberfläche eines Gebirgssees. Und wie jedes Mal schalt sie sich auch jetzt dafür. Wohl zu viele Heimatfilme gesehen, was, Andrea?
    Ihr Blick wanderte weiter, über die Zuschauer im Verhandlungssaal und fast automatisch zurück zu dem Blau, das sie wie schon so oft festhielt. Die Frau, zu der dieses Paar Augen gehörte, saß am selben Platz wie die Tage zuvor, in der hintersten Zuschauerreihe, genau am Mittelgang. Sie war jung, wahrscheinlich noch nicht einmal dreißig. Immer, wenn ihre Blicke sich trafen, überkam Andrea das unbestimmte Gefühl, die Frau würde jeden Moment aufstehen, zu ihr kommen und ihr Gesicht streicheln. Das war jedenfalls die Botschaft, die ihre Augen aussandten. Die Frau gab sich nicht die geringste Mühe, Interesse am Prozess vorzutäuschen. – Ihr Interesse galt der Richterin, die ihn führte. Andrea hatte nicht lange für diese Erkenntnis gebraucht.
    Auch jetzt huschte ein Lächeln über das Gesicht der Frau, als Andreas Blick ihren Blick kreuzte. Trotz ihrer Ungeniertheit, oder gerade deswegen, konnte Andrea sich von diesen Augen nicht losreißen. Erst als sich der Staatsanwalt lautstark und sehr befremdet räusperte, bemerkte sie die absolute Stille, die im Saal herrschte. Alle warteten darauf, dass sie die Verhandlung fortführte.
    Andrea hatte keine Ahnung, was in der letzten halben Minute gesagt worden war. Es war ihr außerordentlich peinlich, dass sie den Zeugen unter einem Vorwand, den alle sicherlich als solchen erkannten, bitten musste, seine Aussage zu wiederholen.
    Den Rest der Verhandlung zwang Andrea sich mit aller Gewalt, nicht mehr zu der fremden Frau hinzusehen. Doch sie spürte deren Blick, wurde unter ihm zunehmend nervöser, beinah ungehalten. Andrea war heilfroh, als sie die Verhandlung schließen konnte.
~*~*~*~
    D as erste Mal war Gina wirklich ins Gericht gekommen, um sich die Verhandlung anzusehen. Der Fall interessierte sie beruflich. Eine Frau hatte ihrem Mann, der sie offensichtlich misshandelte, Rattengift ins Essen gemischt. Ihm musste im Krankenhaus der Magen ausgepumpt werden. Körperverletzung, sagte der Staatsanwalt. Der Rechtsanwalt widersprach: eine Verzweiflungstat. Die Frau sei das eigentliche Opfer.
    Und dann hörte Gina diese Stimme vom Richterstuhl. Gina hätte nie geglaubt, dass ihr so etwas einmal passieren würde. Aus heiterem Himmel, peng! , saß da die Frau, die ihr den Atem verschlug. Die Verhandlung war vergessen. Es existierte nur noch die Stimme und die Frau, der sie gehörte. Gina wollte sie einfach nur so lange hören, wie es irgend möglich war. Dass sie die andere dabei regelrecht anstarrte, wurde ihr erst bewusst, als sie bemerkte, wie diese unwillig die Stirn runzelte und Gina dabei ansah. Sehr verwirrt ansah . . . Sie interpretierte den Ausdruck in Ginas Augen durchaus als das, was er war: ein begehrender Blick von einer Frau für eine andere. Warum verwirrte die Frau das?
    Nach der Verhandlung fand Gina mit dem Ich-habe-den-Schlüssel-der-Richterin-aus-Gerichtssaal-soundso-gefunden -Trick beim Pförtner ihren Namen heraus. Andrea Jordan. Seitdem saß Gina in jeder öffentlichen Verhandlung, die Andrea führte, nahm jede Einzelheit von ihr in sich auf. Die ernsten, aufmerksamen Augen, das angespannte Gesicht, die gerade, fast steife Körperhaltung.
    Aber seit heute Morgen hatte Gina ein Problem. Bislang hatte sie Judith und Christiane überreden können, ihre Trainingsgruppen zu übernehmen. Nun hatten die beiden beschlossen, zu streiken.
    »Unternimm etwas oder lass es!« lautete die deutliche Ansage.
    Leicht gesagt! Was sollte sie denn tun? Auf Andrea zugehen und sie um ein Rendezvous bitten? In den Verhandlungen konnte sie ihr zulächeln, sich die romantischsten Begegnungen mit ihr ausmalen. Aber danach stahl Gina sich lieber davon. Sie traute sich nicht, Andrea anzusprechen. Denn würde sie es tun und bekäme eine Abfuhr, bräche ihre wundervolle Phantasiewelt, in der sie seit zwei Wochen lebte, wie ein Kartenhaus in sich zusammen.
    Das würde sie nun allerdings trotzdem tun, weil ihre Freundinnen sie vor diese grausame Alternative gestellt hatten.
    Sei kein Feigling, Gina! Was kann denn passieren?
    Na, was schon? Sie kann nein sagen. Sie wird nein sagen! Gina klopfte nervös mit der Hand aufs Geländer. Sie hatte die Verhandlung während der
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