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Lass den Teufel tanzen

Lass den Teufel tanzen

Titel: Lass den Teufel tanzen
Autoren: Teresa De Sio
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Er streift Länder, die kein Menschenauge je gesehen hat, fliegt über Orte, die längst vergessen sind. Schließlich setzt er zum Sturzflug an und hätte fast die Gesichter berührt, die von oben wie Felsspalten aussahen, abgeblätterte Fresken in der Erinnerung, ausgetrocknete Wunden. Er schwebt über Häuser hinweg, die längst unbewohnt sind, und über Felsen, auf denen für immer und ungestört das Teufelskraut wachsen wird.
    Ohne ihm irgendwelchen Widerstand entgegenzusetzen, lässt es Archina zu, dass Severino ihr den Beutel von den Knien nimmt und ein paar Meter von ihr wegschleudert. Dann schüttelt sie sich, versucht, seinen Arm festzuhalten, aber zu spät!

    Plötzlich ändert sich zwischen den kleinen Tischen am Pantheon alles. Auf dem Platz bricht sich eine gewaltige, körperlose Welle. Es ist wie ein Erdrutsch aus Energie, ein Windstoß, was da von der Piazza Argentina quer durch die Via di Torre Argentina herüberkommt und sich schließlich über die
Bars am Pantheon ergießt. Eine gigantische Masse aus Geräuschen, krächzenden Stimmen aus dem Megafon, Schreie, Gesänge, Parolen. Der jungen Frau mit dem Sphinxgesicht kommt wieder der Traum vom Seebeben in den Sinn, der sie seit Jahren nicht mehr loslässt, und all die Schreie und Stimmen und die Musik erscheinen ihr wie Fische, Algen und schimmernde Meeresschnecken, die der Sog dieses Seebebens mitten auf dem Platz zurücklässt, direkt vor ihren Füßen. Dann, so wie die gewaltige Welle in dem Albtraum tote Fische ausspuckt, speit der noch unsichtbare Protestzug eine kleine Gruppe von Menschen aus, die sich in Richtung Platzmitte gegenseitig verfolgen. Zwei von ihnen laufen vorneweg, sie sehen aus wie Studenten, ihnen folgen in kurzem Abstand drei Bereitschaftspolizisten mit Helmen und Knüppeln, in voller Montur. Man hört Schüsse, begreift aber nicht, wer da auf wen schießt. Alles geschieht so schnell, dass nicht einmal Zeit zum Schreien ist. Die Gäste an den Tischen beschließen nach kurzer Abwägung ihrer eigenen Kraft und der Fluchtmöglichkeiten, das Weite zu suchen, wobei der eine noch schnell das zusammenrafft, was sich von den Tischen zusammenraffen lässt, der andere jedoch Taschen oder Köfferchen auf dem Boden zurücklässt. Die beiden Verliebten sind die Letzten, die ihren Tisch verlassen. Severino steht als Erster auf, er versucht Archina wegzuziehen, indem er sie am Arm packt, aber sie scheint nicht besonders verängstigt zu sein. Ja, einen Moment lang sieht sie eher wie ein Mensch aus, der hinschauen und begreifen will, was da geschieht.
    Die junge Frau schafft es gerade noch, sich zu bücken und die Umhängetasche mit den Fransen aufzuheben, dann hat
Severino gewonnen. Ohne sonst noch etwas aufzuklauben, flüchten sie zusammen mit den anderen Touristen.
    Kurz sieht man noch die Tunika mit dem psychedelischen Rosenmuster von Archina. Kaum mehr als ein roter Fleck, ein Aufblinken von leuchtenden Farben zwischen den Tischen und den fliehenden Touristen, wie ein entwurzelter Rosenbusch, den der Wind zwischen den Bäumen eines Waldes hindurchweht.

    Der Kellner der Bar, der wie erstarrt auf dem Bürgersteig zurückgeblieben ist, balanciert auf einer Hand ein Tablett, das so groß ist, dass es droht, in Schieflage zu geraten. Auf dem Tablett stehen zwei Coca-Cola mit buntem Strohhalm, ein Cappuccino, ein Teller mit einem Hörnchen und ein Bitter San Pellegrino. Der erste von den vermeintlichen Studenten läuft vorbei, leicht vornübergebeugt, die Hände auf den Ohren, als wollte er sich gegen die Schüsse wappnen. Beim Vorbeilaufen kommt er so nahe an dem Kellner vorbei, dass dieser, um nicht mitsamt dem ganzen Tablett zu stürzen, einen kleinen Satz rückwärts macht, wobei er nur den unteren Teil seines Körpers, vom Gesäß abwärts, nach hinten abwinkelt, während er oben die Flaschen und Gläser auf dem Tablett im Gleichgewicht halten kann. Es ist eine der Bewegungen, wie man sie manchmal bei Stierkämpfen beobachten kann, wenn der Stier den Torero von unten angreift und dieser sich auf die Zehenspitzen erhebt, das Gesäß nach hinten ausstreckt und die mit bunten Bändern versehenen Spieße anhebt, um sie dem Tier in den Rücken zu rammen. Der Stier-Student streift nur kurz die Schürze des Kellner-Toreros und verschwindet in Richtung Piazzetta della Maddalena.
Auch der zweite Student taucht nach einem kurzen Slalom zwischen den Tischen in einer der kleinen Seitenstraßen unter und verschwindet. Die drei Bereitschaftspolizisten
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