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Lass den Teufel tanzen

Lass den Teufel tanzen

Titel: Lass den Teufel tanzen
Autoren: Teresa De Sio
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auf dem Stuhl am Fußende meines Bettes vorfindet.
    Und so wie immer wird sie, während sie den Waschtrog mit zwei oder drei Eimern Wasser gefüllt hat, vor sich hin reden: »Aber was macht ihr bloß mit diesem Kleid jedes Mal? Verdammt noch mal, was macht ihr eigentlich?«

    Doch dann wird sie das dumpfe Knurren des Ungeheuers hören, diesen riesigen Walfisch im anderen Zimmer, und sie wird aufhören zu reden.
    Heute Nachmittag, als mein Vater den Vorhang anhob, der die Küche von dem kleinen Verschlag abtrennt, in dem Filomena und ich schlafen, und sagte: »Hol das Kommunionkleid, es ist Karneval, wir müssen ausgehen«, da habe ich in genau dem Moment gehört, wie der riesige Walfisch wieder da war … mit diesem tiefen, dunklen Rumpeln, das nur ich und Tante Aurelia hören und sonst niemand, nicht einmal meine Schwester, weil man der bloß einen Teller mit Makkaroni hinzustellen braucht, und dann hört sie gar nichts mehr. Jetzt war es schon ein paar Monate her, dass er nicht mehr da war, der Walfisch in der Küche. Die Musikanten mit ihrer Geige und Gitarre hatten ihn verjagt, als mich die Tarantel gebissen hatte, an dem Tag, an dem ich tanzte und die Welt endlich auf dem Kopf stand. Alles war weit weg, niemand konnte mich berühren, niemand konnte mir wehtun, weil das halbe Dorf gekommen war, um zu sehen, wie ich tanzen musste, und ich tanzte, und in meinem Körper hatte ich den Geist der Spinne, die das alles für mich tat. Sie bewegte von innen meine Beine, und auch die Dinge, die ich bei der Musik dachte, das waren halb meine Gedanken und halb die der Tarantel, Dinge, die ich vorher noch nie gedacht hatte. Es waren die Gedanken des Teufels. Es ging mir schlecht, aber eigentlich ging es mir auch gut. Nach drei Tagen Tanzen war ich todmüde, aber der Walfisch war nicht mehr da. Bis zu diesem Nachmittag.
    Jetzt, hier in der Küche von Terranera, sitzen mein Vater und Angelo Santo zusammen am Tisch und trinken einen
dunkelgelben Likör, der sehr stark sein muss, denn ich kann ihn bis hierher riechen. Ich sitze reglos am gegenüberliegenden Ende des Zimmers, neben den Kerzen, und habe die Hände, die immer noch in den Handschuhen stecken, auf die Knie gelegt. Der Geruch des Likörs und der nach Schmalzgebäck mischt sich mit dem Gestank nach toten Schafen, der in diesen Räumen von Terranera immer in der Luft hängt. Es ist ein schwerer Geruch, so schwer und dicht, dass sich die Zeit darin verfängt und stehen bleibt. Es passiert nichts. Ich schaue zu Boden, und es passiert nichts. Ich betrachte die Spitzenborte meines weißen Kleides und zähle all die Nähte, die es zusammenhalten. Es sind Linien, die von oben nach unten verlaufen, ganz fein und ein wenig dunkler als der weiße Stoff selbst. Ich zähle sie mehrere Male, damit ich keinen Fehler mache. Ich kann einfach nicht anders. Mein Vater und Angelo Santo trinken und reden kein Wort. Mir kommt der Gedanke, dass es ganz anders war, wenn Narduccio und Donna Mariannina den neuen Wein aus dem Weinberg probierten und lachten, und wenn sie sich dabei kleine Geschichten erzählten, über die sogar ich lachen musste, obwohl ich sie gar nicht verstand, aber lachen musste ich trotzdem, weil alle so fröhlich waren, und dann holte Donna Mariannina eine Obsttorte aus der Speisekammer, stellte sie auf den Tisch, und ich und Narduccio wetteten, wer das größte Stück davon schaffen würde. Und dann fing Mariannina an, mich zu kitzeln, und versuchte, mir meinen »Schatz«, wie sie es nannte, abzuluchsen, den kleinen Beutel, den ich mir umgebunden habe. Und da lachten alle, und sie sagten: »Aber was hast du denn da in diesem vergilbten Kissenbezug? Ach komm, uns kannst du es
doch sagen! Was schleppst du denn immer in diesem Säckchen mit dir herum?« Und sie lachten und versuchten mich zu fangen, aber ich entwischte und versteckte mich, weil das nicht einmal sie wissen dürfen. Aber ich war glücklich, und ich hatte das Gefühl, weit weg zu sein … weit weg von all diesem Mist hier, so weit wie Amerika.
    Jetzt, in dieser Küche, in der es nach toten Schafen stinkt, lacht niemand. In einem Grab lacht man nicht. Ich zähle die geklöppelten Reihen der Spitze, wieder und wieder. Der Alte kommt in seinem Rollstuhl auf mich zu. Mit der einen Hand dreht er das Rad des Rollstuhls weiter, in der anderen hat er einen Teller, auf den er ein paar von den ausgebackenen Kringeln gelegt hat. Er sagt: »Iss nur, iss, die sind gut.« Auch mein Vater kommt näher und will, dass ich
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