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Landkarten des Lebens

Landkarten des Lebens

Titel: Landkarten des Lebens
Autoren: Rainer Gundula u Waelde Gause
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meiner Familie verbunden. Dasselbe gilt für den Marktplatz, auf dem ich stehe und langsam kalte Füße bekomme. Erbaut wurde er mitsamt der umliegenden Altstadt 1599 vom württembergischen Hofbaumeister Heinrich Schickhardt, der von 1558 bis 1635 lebte. Mein Großvater hat immer behauptet, dass unsere Familie von diesem wichtigen Baumeister der Renaissance abstamme, beweisen konnte er es nie. Das ist mir erst viele Jahre später gelungen, als ich intensiv Ahnenforschung betrieben habe und die Linien unserer Familie tatsächlich bis zu Heinrich Schickhardt zurückverfolgen konnte. Auf dieser Reise in meine Vergangenheit sind mir interessante und für ihre Zeit außergewöhnliche Menschen begegnet: Architekten, Chirurgen, Kaufleute, Pfarrer – alles Menschen, die Verantwortung übernommen haben, für ihre Familien, für die Kommune, für Bauwerke, für Patienten. Schon damals habe ich gemerkt: Das Thema, Verantwortung zu übernehmen, ist in unserer Familie fest verwurzelt. Es ist ein wichtiger Teil meiner Identität.
    Und so kann ich an diesem kühlen Tag im Mai auf dem Marktplatz von Freudenstadt nicht nur meine eigene Geschichte sehen, sondern auch die meiner Vorfahren. Diese jahrhundertealte Geschichte meiner Familie fühlt sich für mich auf einmal ganz tief an – so wie ein Brunnen, in dessen Schacht man schaut. Ich bin 49 Jahre alt und zwischen mir und meinem Vorfahr Heinrich Schickhardt liegen 500 Jahre – dennoch bin ich hier an diesem Ort, den er geplant und gebaut hat, mit ihm verbunden. Ob es sich so anfühlt, wenn man den roten Faden seines Lebens gefunden hat?
    Schritt 1 auf dem Weg zu Ihrem Lebenstraum:
Tragen Sie in Ihre, dem Buch beiliegende Lebenslandkarte die Orte ein, an denen Sie gelebt haben.
Wo sind Sie geboren, wo aufgewachsen? Wo haben Sie Ihre Schul- und Ausbildungszeit verbracht, wo war Ihre erste eigene Wohnung? Wo haben Sie mit Ihrer eigenen Familie überall gelebt? Wo leben Sie heute?
Übrigens: Es ist nicht wichtig, dass Ihre Karte maßstabsgetreue Entfernungen darstellt oder hundertprozentig korrekte Umrisse eines Landes. Ihre persönliche Lebenslandkarte kann kontinentübergreifend sein oder eine einzige Stadt darstellen, in der Sie vielleicht schon immer leben und mehrfach umgezogen sind – Hauptsache, Sie haben alle Orte darauf eingezeichnet, die in Ihrem Leben eine Rolle spielen.
    Heimat: Wurzeln der Identität und des Glaubens
    Ich verlasse den Marktplatz von Freudenstadt und laufe hinüber zum Haus meiner Großeltern. Leider kann ich nicht mehr hinein, denn es ist vor ein paar Jahren verkauft worden. Dennoch berührt und bewegt es mich – die Jahre meiner Kindheit sind auf einmal wieder präsent: In diesem Haus bin ich aufgewachsen, denn nach dem Tod meiner Mutter haben meine Großeltern mich bei sich aufgenommen. Mir fallen Familienfeste ein, meine Großmutter in ihrer Kittelschürze, der große Kachelofen im Wohnzimmer, der eine so gemütliche Wärme verbreitete. Im Garten steht immer noch der große Kirschbaum, unter dem ich als Junge lag und mir wünschte, die Kirschen würden mir direkt in den Mund fallen.
    Doch die Erinnerungen an diesen Ort sind nicht nur positiv. Mir fällt auch wieder ein, dass mich meine Großmutter irgendwann in den Keller gesperrt hat – ich muss wohl frech zu ihr gewesen sein. Es war dunkel dort, stickig, muffig, feucht und roch nach den eingelagerten Kartoffeln. Zuerst war ich ganz ruhig, ich saß einfach da und wartete, bis meine Großmutter mich wieder hinausließ. Doch sie kam und kam nicht. Ich wurde zuerst wütend, dann hilflos, irgendwann aggressiv. Das Gefühl, nicht kommunizieren zu können, nicht gehört zu werden, macht mich heute noch wütend. Ich kann es schlecht aushalten, wenn ich eine Situation nicht unter Kontrolle habe. Irgendwann, vor einigen Jahren, blieb ich mit einem Aufzug stecken – da war sofort dieses Kellergefühl von Panik und Hilflosigkeit wieder da. Ich war wieder ein Kind.
    Auch heute, als ich vor dem Großelternhaus stehe, fühle ich mich wieder wie das Kind, das ich einmal war: Ich habe Zugang zu meinem inneren Kind – diesem wichtigen Teil der eigenen Persönlichkeit, der uns ein Leben lang prägt, im Guten wie im Schlechten. Noch als erwachsene Menschen sind wir in unserem Verhalten von Dingen beeinflusst, die uns als Kinder zugestoßen sind. Ich bin überzeugt davon, dass wir als erwachsene Menschen nur Zugang zu diesem inneren Kind und seinen Emotionen bekommen, wenn wir uns an die Orte begeben, an denen wir
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