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Landkarten des Lebens

Landkarten des Lebens

Titel: Landkarten des Lebens
Autoren: Rainer Gundula u Waelde Gause
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seiner Familie von Ostpreußen dorthin geflohen war, erzählt häufig von der Armut der Nachkriegsjahre. Sein Vater – mein Großvater – war kurz vor Kriegsende im sogenannten Volkssturm in Polen gefallen. Hals über Kopf hatte die Familie Insterburg, das heutige Tschernjachowsk und spätere Posen, verlassen müssen. Diese Heimat ging verloren, Teile Ostpreußens kamen 1945 durch das Potsdamer Abkommen unter die Verwaltung der damaligen Sowjetunion, die dann auf dem Gebiet die russische Exklave „Kaliningrad“ gründete. Mein Vater erlebte das Kriegsende und die Zeit bis zur Gründung der beiden deutschen Staaten in Berlin, im Westteil der Stadt studierte er später und lernte dort Anfang der 60er-Jahre auch meine Mutter kennen.
    Sie wurde als Deutsche in Lissabon geboren, wohin ihre Eltern in den 20er-Jahren des 19. Jahrhunderts ausgewandert waren. Auch ihr Vater musste, nachdem er mehrfach die Einberufung hatte verhindern können, kurz vor Kriegsende von Lissabon aus an die Front. Auch er fiel – an der Westfront bei Karlsruhe – noch im April 1945. Meine Mutter zog es als junge Frau nach Deutschland, in die Heimat ihrer Eltern und in die Selbstständigkeit. Sie wollte Berlin kennenlernen und suchte über eine Bekannte aus Lissabonner Zeiten eine „Stadtführerin“, die dann meinen Vater und meine Mutter in Berlin zusammenbrachte. Von Ostpreußen und Lissabon aus hatten beider Wege in diese besondere Stadt geführt, in der sie dann auch heirateten und eine Familie gründeten.
    Kurz nach meiner Geburt zogen meine Eltern wegen des beruflichen Weges meines Vaters nach Hannover, später nach Fulda, Stuttgart und 1975 schließlich nach Mainz. Aber immer wieder reiste ich nach Berlin, in meine Geburtsstadt, und damit die Stadt meiner Herkunft. Ich erinnere mich an viele Besuche bei meiner Großmutter, der Mutter meines Vaters, und ihrer Schwester, die mich in den 70er-/80er-Jahren in die Theater und Ausstellungen im Westteil der Stadt führten. An meine Großmütter, die in Berlin und Lissabon lebten, erinnere ich mich gut und voller Sympathie. In Berlin hatten wir als Kinder immer ein Betthupferl auf dem Nachttisch, in Lissabon stöberten wir in dem kleinen „Mädchenzimmer“, in dem früher die Zugehfrauen lebten, in alten Schränken. Oft habe ich bedauert, dass ich meine beiden Großväter nie kennengelernt habe, bin aber froh, wie viel ich gleichwohl von ihnen weiß. Erst mit meinen eigenen Kindern erlebe ich nun, wie schön und wichtig es ist, einen Großvater zu haben und damit auch Lebenskreise zu erfahren.
    Intensiv nahm ich später die besondere Situation der geteilten Stadt wahr: die Fahrt mit dem Zug durch die DDR, die Passkontrollen an den streng bewachten Grenzen, die Ankunft hinter der Mauer – und auch die glückliche Rückkehr immer wieder in der Bundesrepublik. Ich denke an die Tage, die ich ab und an im Osten von Berlin verbrachte, die Ost-Mark, das kritische Gesicht des DDR-Grenzkontrolleurs und das seltsame Gefühl in dem damals unfreien Teil der Stadt. Das alles ist zwar nur wenig mehr als 20 Jahre her und damit einerseits weit weg, andererseits aber ist die Zeit der deutschen Teilung von 1949 bis 1989 Teil unserer Geschichte und damit Bestandteil der Biografie eines jeden Deutschen dieser Zeit – eine der Wurzeln unserer Identität. Es war eine ganz besondere Zeit, mit der man sich befassen muss, um das Heute zu verstehen.
    Mit Lissabon, dieser wunderbaren, aber bis zum Eintritt in die damalige Europäische Gemeinschaft 1986 sehr armen Stadt am Tejo verbinde ich vor allem die Besuche bei meiner Großmutter. Es sind gute Kindheitserinnerungen an die Heimat meiner Mutter und an die vielen Reisen, die ich mit ihr an die Küste vor der portugiesischen Hauptstadt unternommen habe. Sie erzählte mir viel von der Armut Portugals und dem hierarchischen Miteinander in der vom Salazar-Regime dominierten portugiesischen Gesellschaft der 50-/60er-Jahre. Die „Saudade“, diese traurige Sehnsucht, die in der Melancholie des portugiesischen Fado zum Ausdruck kommt, spielte dort immer eine Rolle und bleibt Charakteristikum der Portugiesen – gewissermaßen auch in der aktuellen Schuldenkrise.
    Seit über 30 Jahren lebe ich nun am Rhein in Mainz, der Landeshauptstadt von Rheinland-Pfalz mit einer Geschichte, die bis in die Römerzeit reicht. Davon zeugen Funde, die in fast jeder Baugrube zum Vorschein kommen. Die Fachwelt war begeistert, als man vor einiger Zeit den 2.000 Jahre alten Isis-Tempel
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