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Land Spielen

Land Spielen

Titel: Land Spielen
Autoren: Daniel Mezger
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ein paar Fremde gehe es der Gegend bald misslich, sagt der Förster.
    Da war es wieder, dieses seltsame Wort, Moritz muss lächeln.
    Gerade jetzt, wo das Milchkontingent abgeschafft werde. »Das überleben nicht alle. – Fremdenverkehr. Den sollte man hier fördern«, sagt der Förster.
    Und Moritz: »Ich weiß nicht, ob wir überhaupt bleiben.«
    Ada hat ihre Gabe verloren.
    Sie kennt sich aus mit Superhelden, kennt Peter Parker, Bruce Banner, Clark Kent und wie sie sind, wenn sie durch die Nacht schwingen, stampfen, fliegen, wenn sie Leben retten, weil sie gestochen wurden von Spinnen oder bestrahlt beim Selbstversuch. Oder weil sie so geboren wurden. Ralf stapelt die Comics unter seinem Bett, und weil Ada heimlich liest, weiß sie, dass eine Gabe auch eine Verantwortung ist. Jeder Held hat seine Aufgabe, und mag er noch so klein sein. Das weiß Ada und hat auch die grünen Steine gesehen, in deren Nähe von Superman bloß noch Clark Kent übrig bleibt. Ada braucht keine zweite Persönlichkeit, verliebte sich als Ada in alles und jeden, bis zum heutigen Tag, wo sie merken muss, dass sie kein Held mehr ist, an diesem Tag, der beginnt wie all die Tage in all den Sommern, in denen wir hier sind, hier auf dem Land.
    Noch hat Ada den Verlust ihres Könnens nicht be„merkt, denn noch ist es nicht gefragt. Noch steht sie im hohen Gras, das auch dieses Jahr gestutzt wird.
    Wir schwingen Sensen oder folgen dem Sensenschwinger mit Rechen und Heugabeln nach, aus der Begeisterung ist im Jahr Nummer vier längst Arbeit geworden, längst beneiden wir den Nachbarsbauer um seinen Rapid, vor den er einen Mäher spannen kann. Der Nachbar zieht an seinem Stumpen und grinsend seine Runden auf dem Nachbarfeld, hat sich gewöhnt an unseren Anblick, wartet auf den Tag, an dem wir ihn fragen, ob er nicht auch bei uns über die paar Grasbüschel fahren könne. Macht er Halt, um den Mäher abzumontieren, sind wir noch immer mit der Sense unterwegs. Und während wir noch gabeln, kann er längst zetteln, denn in der zweiten Runde stößt der Rapid keinen Mäher mehr, sondern schleppt schon kreisende Zinken, eine Armee von zwei mal sieben Drillingen, die in Grasleichen stechen, sie aufwirbeln, sie von ihrem naheliegenden Totenbett wegreißen und auf der Wiese verteilen. Während wir Unebenheiten mit taktisch klugen Sensenstreichen in unseren Rhythmus einbauen müssen, hat er vor Jahren schon planiert, die Drillinge bleiben in keinen Erdhügeln stecken, verrichten ihre Aufgabe ungestört und schnell und leicht. Neidisch schauen wir durch Heckenlücken, arbeiten im Takt eines Liedes im Kopf, die Wiese scheint riesig, die Schallplatte hat einen Sprung, immer dieselbe Phrase spielt und spielt und spielt, ein ewiger Refrain, erst wenn die Wiese geschafft ist, werden wir den Ohrwurm los, oder wenn wir unterbrochen werden, weil Besuch kommt.
    Besuch kommt.
    Ada sieht ihn von weitem, sagt: »Da kommt Besuch.«
    Sie sagt es freudig, denn Besuch bedeutet Pause, dass er auch eine Erkenntnis bringt, ahnt sie noch nicht, wir legen unsere Sense weg, stechen die Gabel schwungvoll in die Erde, gehen auf den Ex-Dorflehrer zu, der einen Kinderwagen über Stoppelgras zu stoßen versucht.
    Der Ex-Dorflehrer hat rote Augen, zieht die Nase hoch, scheint nicht freiwillig hier zu sein im Pollenmeer. Vera und Moritz grüßen freundlich und fragend, Andreas antwortet verschnupft, sagt, er sei bloß hier, weil das so etwas wie ein Notfall sei und unsere Hilfe scheine irgendwie angebracht. Er hebt das Kind aus dem Kinderwagen, es scheint der »so etwas wie ein Notfall« zu sein.
    Die Nase des Ex-Dorflehrers läuft, aus kleinen Augen betrachtet er Moritz, sagt: »Kannst du sie mal halten?« Moritz scheint überrumpelt, macht eine abwehrende Geste, sagt, er sei noch viel zu verschwitzt.
    »Lasst uns doch reingehen, da ist es angenehm kühl«, schlägt Vera vor, Ada folgt dem Tross in Richtung Haus, beobachtet Moritz, der umständlich den Kinderwagen die paar Treppenstufen hochhievt und übertrieben konzentriert im Flur nach einem geeigneten Abstellplatz sucht.
    Als Ada dieses Kind das erste Mal sah, war es bloß eine Beule unter Christines Pullover, und Christine schien noch nicht so recht zu wissen, ob sie sich über diese Ausbuchtung freuen sollte oder nicht. Auch dieses Kind werde bloß ein weiterer Versuch, werde den Körper ja sowieso wieder frühzeitig verlassen, sagte Christine. Und also schien sie beschlossen zu haben, sich diesmal nicht mit Vorfreude
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