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Land Spielen

Land Spielen

Titel: Land Spielen
Autoren: Daniel Mezger
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dann ist das ein guter Grund. Zu Hause lügen alle.
    »Aha«, ist alles, was Mirko dazu sagt.
    Fabian nimmt den Käse vom Brot, legt ihn auf den Tellerrand. Dann überlegt er es sich anders, legt den Käse wieder aufs Brot.
    »Lügen ist kein Grund für Wegrennen«, sagt Herr Mirko.
    Fabian nimmt den Käse erneut vom Brot.
    Er solle jetzt einfach essen, ruft Mirko aus. Er steht auf, entnervt, wie Fabian deutet, aber nein, doch nicht, bloß das Wasser, das kocht. Mirko gießt es in seine Tasse, schlägt den Löffel beim Umrühren an die Tasseninnenseite. Als er mit Rühren fertig ist, kleben letzte Kaffeekrümel an der Löffelspitze, Mirko steckt sich den Löffel in den Mund.
    »Manchmal lügen ist mutiger«, sagt er.
    Das klang dreifach komisch. Erstens: Akzent, zweitens: der Löffel im Mund, drittens: »Was für ein Blödsinn!«
    Fabian schüttelt den Kopf, und also erhält Fabian Lektion Nummer eins von ebenfalls dreien. (Nummer zwei bezieht sich auf die weiße Umgebung, auf den Morgennebel, den Herr Mirko »Wolken« nennt. So weit oben ist man also.) Lektion Nummer eins also: Lügen ist gut.
    Während Fabian am käselosen Brot kaut und Mirko zwischenzeitlich über das Gebräu schimpft, das er gleichzeitig dank reichlich Zucker gar nicht so ungern zu trinken scheint, führt er aus, dass man manchmal eben lügen müsse, das sei meistens nett, denn meistens würde die Wahrheit doch bloß jemanden verletzen, und wer immer die Wahrheit sage, habe vielleicht nichts zu verstecken, vielleicht sei er aber auch einfach gemein, es würden viele gemeine Dinge getan durch Dinge, die wahr seien, mindestens genauso viele wie durch Gelogenes. Wer lüge, der kümmere sich darum, was der andere denke.
    Mirko steigert sich nun vollends in seinen Gedankengang hinein. Fällt ihm ein Wort nicht ein, sucht er das entsprechende in seiner Muttersprache, umschreibt es, was seine Rede zwar durchaus interessant, aber nicht wirklich verständlich macht.
    Ja, sagt er, so sei das eben im Leben, da gebe es eben manchmal mehrere Wahrheiten, und gewisse Wahrheiten würden sich eben ausschließen, aber das würden viele nicht verstehen, und man könne diese Menschen entweder vor den Kopf stoßen und viele Scherben erzeugen oder man könne lügen. Man müsse einfach gut lügen, sonst gebe es ebenfalls viele Scherben. Oder der andere müsse gut mitspielen.
    Ganz kann Fabian Mirkos Gerede nicht folgen. Herr Mirko ist seltsam, erst liebt er die Langeweile und dann lobt er die Lügen. Oder ist das alles nur wieder ein Spaß und Mirko lügt ihm bloß etwas vor?
    »Herr Mirko, du lügst mir doch etwas vor«, sagt Fabian.
    Mirko, der in seinen philosophischen Gedankengängen unterbrochen wird, lacht. Es sei die Wahrheit. Wahrscheinlich. »Wahrheit, wie ich empfinde.«
    Dann sagt Mirko etwas zum Wetter, sagt, dass sich die Wolke langsam auflöse (Lektion zwei), bald könne man aufbrechen.
    Dann schaut Mirko auf Fabian, der noch immer auf seinem Brot herumkaut und den Käse verschmäht.
    Und dann erläutert Mirko (lächelnd, weil selbst überrascht über sein rhetorisches Geschick): »Siehst du, wenn ich hätte gelogen wegen Käse, dir würde besser schmecken Brot.«
    Nun hat Fabian den Faden endgültig verloren: Das hier klang wie eine Dreisatzaufgabe, wie sie der Dorflehrer so gerne an die Tafel malt. Für die größeren Schüler, nicht für ihn. Und weil ihn das alles verwirrt und weil er nun plötzlich an die Schule denken muss, muss er auch an Ralf denken und an Ada und an die Schulkameraden und dass ihm das mit dem Försterssohn nicht leid tut, aber dass Ralf ihm, Fabian, wenigstens hätte danken können. Und schon strömt es aus Fabian heraus, dass die Dorflehrersfrau Dinge gesagt habe und dass man zu Hause über solche Dinge nicht rede, und die Dorflehrerin sei schuld an vielem und jetzt wolle sie plötzlich auch noch schuld sein am Verprügeln des Pausenhofwidersachers, aber dafür sei er, Fabian, ganz allein verantwortlich und da sei er auch stolz drauf, denn man müsse doch zusammenhalten, aber das gelte offensichtlich auch nicht mehr, das werde auch nur noch so gesagt, ständig werde das gesagt – je weniger es in Wirklichkeit gelte, desto öfter.
    Und jetzt schicke man ihn, Fabian, bestimmt ins Heim, denn sie würden ihn nicht mehr mögen, dabei möge er die doch eigentlich alle noch. Ralf, diesen Idioten, dem er doch schließlich geholfen habe, und Ada, die kleine Ada, die immer im Weg rumstehe und viel kleiner tue, als sie eigentlich ist. Ja,
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