Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Land Spielen

Land Spielen

Titel: Land Spielen
Autoren: Daniel Mezger
Vom Netzwerk:
sieht, ist das Nichts. Es ist weiß, es ist überall, es hat die Umgebung aufgefressen, die Hütte steht mitten im Nirgendwo. Fabian steht auf der Schwelle, schaut ins Leere. Auch Herrn Mirko scheint das Weiß verschluckt zu haben, Fabian ruft nach ihm, er horcht ins Nichts hinein und hört – nichts.
    Die Nacht hat er auf der Küchenbank geschlafen, eingewickelt in Wolldecken, einmal hörte er jemanden, der Lärm machte, er beschloss weiterzuschlafen, nun bereut er es. Herr Mirko hat ihn alleingelassen. Und auch die Geräusche hat er mitgenommen. Ein dumpfes Rauschen nimmt Fabian wahr, aber das könnte auch das Blut sein, das durch seine Adern fließt.
    Nur das Innere der Hütte hat das Weiß noch nicht aufgefressen, Fabian geht zurück zu seinem Schlafplatz, wickelt die Decke um sich, es ist doch Sommer, warum ist es so kalt? Er schaut sich im engen Raum um, Brot liegt auf dem Tisch, Käse, Wurst. Auf dem Regal neben dem verrußten Herd findet er eine Tasse, er hat Durst, findet aber nirgends einen Wasserhahn. Draußen war der Brunnen, doch Fabian traut sich nicht, die Hütte zu verlassen.
    Er wartet. Er schneidet sich ein Stück Brot ab. Er schneidet sich Käse ab. Er würgt Brot und Käse die trockene Kehle hinunter, er hustet, er schluckt, beißt erneut ab, Tränen in den Augen, vom Husten wahrscheinlich, ja, vom Husten, wovon sonst?
    »Nicht so gierig!«
    Das ist Herr Mirko, er ist wieder da! Fabian will von der Bank springen, stößt sich das Knie an der Tischkante, beißt auf die Unterlippe, er will nicht noch mehr weinen. Mirko räumt einen Korb mit Anfeuerholz vom Hocker neben dem Herd, setzt sich zu Fabian an den Tisch. Er betrachtet den weinenden Eindringling, legt ihm die Hand auf die Schulter: »Milch?«
    Fabian frühstückt, Herr Mirko schaut ihm zu dabei, »Essen Sie nichts?«, fragt Fabian. Er sei doch schon seit Stunden auf, antwortet Herr Mirko, und er betont es so lustig, dass Fabian schon wieder lächeln muss. Wieso er so grinse, fragt Mirko. Und Fabian spürt, wie das Kichern in ihm aufsteigt: »Einfach, wegen der Witze.« »Wieso Witze?« »Weil Sie die Sachen immer so lustig sagen.«
    Wenn er den Sommer nicht immer alleine hier oben verbringen würde, dann könnte er auch an seiner Aussprache feilen, sagt Mirko.
    Fabian lacht.
    Fabian solle aufhören zu lachen, er meine es ernst, sagt Mirko.
    Fabian senkt den Kopf, grinst seinen Freund von unten her an.
    »Willst du nicht Wurst? Komm, ich schneide dir.«
    Fabian schüttelt den Kopf.
    »Nicht gern?«
    Er esse nichts, was er nicht selbst geschlachtet habe, antwortet Fabian.
    Nun ist es Mirko, der lacht. Er lacht lange, er lacht laut, er muss aufstehen, so sehr muss er lachen. Ob er, Fabian, denn schon mal etwas geschlachtet habe, will Mirko wissen.
    Nein, gibt dieser kleinlaut zu. Er will nicht ausgelacht werden, er meint es ebenfalls ernst.
    Mirko schaut in den Herd, in dem noch ein Rest Feuer ist, er nimmt den kleinen Topf vom Haken über dem Herd, noch immer lachend will er nach draußen, unterbricht sich: »Dann du darfst nicht essen diesen Käse.« Er lässt Fabian mit dessen verständnislosem Blick allein, kommt kurze Zeit später mit dem wassergefüllten Topf zurück. Er stellt den Topf auf den Herd, nimmt sich eine Tasse, kippt drei Löffel körniges Pulver hinein: Das Einzige, was er hier oben vermisse, sei richtiger Kaffee.
    »Warum darf ich den Käse nicht essen?«
    Mirko kümmert sich nicht um die Antwort, er spricht nun davon, dass er noch ein paar Dinge erledigen müsse, dann werde er Fabian zurückbringen. Nun fällt ihm auch wieder ein, dass er sauer sein sollte auf den Jungen, der ihn in Schwierigkeiten bringen wird: Er könne die Alp doch nicht den ganzen Tag alleinlassen, es gebe hier keinen zweiten Senn, außerdem, wenn nur einer damit anfange, dass er, Mirko, ihn, Fabian, entführt habe oder Schlimmeres, dann müsse er, Mirko, ins Gefängnis. Oder gleich wieder nach Hause. Überhaupt, was habe er, Fabian, sich bei der ganzen Sache gedacht, ob seine Eltern ihn schlagen würden. »Nein«, antwortet Fabian. Warum er denn dann abgehauen sei, fragt Mirko, aber Fabian solle ihm jetzt bloß nicht wieder mit dem Scheißjugoslawien anfangen.
    Fabian, der gerne wieder mit Jugoslawien angefangen hätte, schaut stumm auf sein Brot, betrachtet das angebissene Stück Käse darauf.
    »Zu Hause lügen alle.«
    Es ist das Erste, was ihm als Antwort einfiel, er hört dem Satz hinterher, ja, wenn man sich das so sagen hört, dann stimmt das,
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher