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Labyrinth der Spiegel

Labyrinth der Spiegel

Titel: Labyrinth der Spiegel
Autoren: Lukianenko Sergej
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Hände. Die Luft um uns herum trübt sich, verdichtet sich. Prompt materialisiert sich ein kleiner Baum voller Früchte. »Ich nehme an, am meisten interessiert Sie der hier, dieser kleine grüne Apfel am untersten Zweig.«
    Ich betrachte die heiß begehrte Frucht. Der Apfel ist klein, unreif und wurmstichig.
    »Was meinen Sie, Diver, wie viel die Konkurrenz wohl für diese Datei zahlen würde?«
    »Zehntausend«, übertreibe ich ein wenig.
    Urmann sieht mich an. »Zehntausend Dollar?«, hakt er nach.
    »Ja.«
    »Ehrlich gesagt, wären nicht einmal hunderttausend zu viel. Aber lassen wir das. Gehen wir einmal davon aus, dass ich demjenigen, der versucht, diese Datei zu stehlen, einhundertundfünfzigtausend anbiete. Unter der Bedingung, dass er mit uns kooperiert. Selbstverständlich gegen ein angemessenes Honorar.«

    »Was ist das?«, frage ich. »Ein Mittel gegen Krebs?«
    »Nein.« Urmann schüttelt den Kopf. »Das wäre unbezahlbar. Das ist lediglich ein Mittel gegen Erkältung. Allerdings ein sehr, sehr wirksames. Wir planen, es in die Produktion aufzunehmen, jedoch erst nachdem die Vorräte der weniger effizienten Medikamente verkauft sind. Was sagen Sie zu meinem Angebot?«
    »Ich fürchte, ich muss Sie enttäuschen«, antworte ich und versuche, nicht an die Summe zu denken, die er mir genannt hat. »Aber der Ehrenkodex der Diver verbietet solche Deals.«
    »In Ordnung.« Urmann erhebt sich. »Ich habe mit dieser Antwort gerechnet. Und ich respektiere Ihre Einstellung.«
    Er tritt an den kleinen Baum heran und pflückt mit einer gewissen Anstrengung den Apfel. Seine Lippen bewegen sich dabei, offenbar spricht er das Passwort. »Bitte!«
    Der Apfel wandert in meine Hand. Ein schweres Ding, bestimmt zwei Megabyte. Jeden Versuch, das Ding sofort zu kopieren, kann ich mir sparen. Mir wird nichts anderes übrigbleiben, als ihn mitzunehmen. Ich stecke den Apfel in meinen Ausschnitt, hefte die Datei also an mein Avatar. Dann sehe ich Urmann wieder an.
    »Ich setze alles auf eine Karte«, sagt er sehr ernst. »Ich opfere eine überaus erfolgversprechende Entwicklung. Sie können sie Herrn Schöllerbach geben, mit den besten Grüßen von mir. Aber ich habe eine Bitte: Wenden Sie sich danach noch einmal an uns und verhandeln Sie mit uns über eine feste Anstellung. Ich will gar kein Geheimnis
daraus machen, dass wir sehr dringend einen Diver bräuchten.«
    »Der vierte Router ist identifiziert … der fünfte Router ist identifiziert … Alarm! Alarm! Alarm!«
    »Einverstanden.« Jetzt stehe ich ebenfalls auf. Das alles kommt ziemlich überraschend. Außerdem hätte ich nie gedacht, dass führende Geschäftsleute zu derart großen Gesten fähig sind. »Ich verspreche wiederzukommen. Wenn Sie mich jetzt aber entschuldigen wollen …«
    »Nein, Herr Diver, jetzt müssen Sie schon mich entschuldigen. Sie werden unser Territorium ungehindert verlassen können, allerdings erst nachdem wir Ihre ständige Adresse eruiert haben. Gewissermaßen als Garantie für das Versprechen, das Sie uns eben gegeben haben.«
    Die Gitterwände des Pavillons dunkeln ein, als habe man sie unter festem Stoff verhüllt. Ich mache einen Schritt, was mir nicht leichtfällt. Obwohl sie meine Verbindung noch nicht gekappt haben, dauert die Übertragung mittlerweile viel länger. Urmann macht nur noch abgehackte Bewegungen, vor meinen Augen verschwimmt alles, der Apfel droht, aus meinem Hemd auf den Boden zu fallen, Vikas Stimme holpert und hat die Intonation eingebüßt: »Alarm … A …larm …«
    Das war’s dann wohl. Diese Multimillionäre sind verdammt gute Spieler.
    Genauer gesagt, ihre Angestellten, zu denen man mich unbedingt auch stecken will.
    »Vika, eine geringere Auflösung!«, flüstere ich, während ich mich weiter zum Tisch vorkämpfe. Wenn die Software
mich jetzt bloß versteht, wenn sie jetzt bloß keine konkreteren Befehle verlangt!
    Doch da verändert sich der Pavillon auch schon. Das gitterartige Muster verschwindet von den Wänden, die Blumen verlieren ihre Blüten und einen Teil der kleinen Blätter, Urmanns Hemd wird gröber.
    Dafür komme ich nun aber an meine Sachen auf dem Tisch. Ich schnappe mir das Taschentuch. Ach ja, wie wichtig doch die Dinge der persönlichen Hygiene sind …
    Kaum wedel ich einmal mit dem Tuch – ganz langsam, als befände ich mich unter Wasser –, zerschneidet eine funkelnde Lichtsense die schlummernde kleine Welt des Pavillons. Die einen nennen diese Anwendung Saugfisch , die anderen Weg
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