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Labyrinth der Spiegel

Labyrinth der Spiegel

Titel: Labyrinth der Spiegel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lukianenko Sergej
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diffuse Schatten nach, da die Posten ihr imposantes Äußeres zugunsten ihrer Schnelligkeit aufgegeben haben.
    »Wie sieht’s aus, Iwan Zarewitsch?«, keucht der Wolf.
    »Die erwischen uns gleich!«, rufe ich.
    »Iwan, das schaff ich nie!«, brüllt der Wolf. Ich hole den Kamm heraus, zerbreche ihn in der Hand und werfe ihn hinter mich. Mit einem ohrenbetäubenden Knall fliegen die Zähne auseinander, bohren sich in die Erde und wachsen fest, verwandeln sich in überdimensionale Bäume. Die Posten werden daraufhin langsam und träge, da jetzt, wo der Raum mit wie aus dem Nichts auftauchenden Objekten
überfüllt ist, die Rechner unserer Feinde in einer Flut banaler Informationen ertrinken.
    Aber leider ist das ein uralter Trick, und die Gegenseite weiß längst, wie sie reagieren muss. Die meisten Wachen haben einfach ihr Gesichtsfeld verengt oder die Auflösung noch weiter herabgesetzt, um die riskante Strecke zu überwältigen. Und um ganz korrekt zu sein: Das haben nicht die Posten selbst getan, sondern die jeweilige Deep-Software. Mit dem Trick sind also bloß Amateure ausgesiebt worden, die sich aus purem Enthusiasmus in die Jagd gestürzt haben.
    »Iwan, ich kann nicht mehr!«, jault der Wolf verzweifelt. Hat er wirklich Angst? Oder geht er nur voll in der Märchenhandlung auf? Ich weiß es nicht.
    So oder so, jetzt muss der Spiegel her. Als ich ihn nach hinten werfe, jammert mein Windows Home: »Wie unfein!«
    Natürlich ist das unfein. Und wie! Das ist keine kleine Gemeinheit mit rapide wachsenden Baobabs und auch kein lokaler Schwertvirus. Das ist eine logische Bombe von enormer Sprengkraft.
    Da, wo der Spiegel aufgeschlagen ist, entsteht ein Teich, der schnell größer wird. Ein Teil der Verfolger landet in ihm und ertrinkt, verschwindet spurlos. Die anderen stoppen ratlos am Ufer.
    In diesem Bereich des virtuellen Raums sind alle Verbindungen blockiert. Mindestens die nächsten paar Stunden führt hier kein Weg durch; den gibt es erst wieder, wenn der Teich ausgetrocknet ist.
    »Wo hast du den Kram her?«, fragt mich der Wolf.

    »Von Maria der Geschickten«, antworte ich nach kurzem Zögern. Ehrlich gesagt, bin ich nur wegen meiner heutigen Maskerade auf den Namen dieser weiteren Märchengestalt gestoßen. Aber der Wolf wird ihn nicht weitersagen. Und ihm könnten ein paar solcher Programme auch nicht schaden.
    »Werd ich mir merken«, sagt der Wolf dankbar und sieht sich rasch um. »Was hast du als Drittes dabei, Recke?«
    Inzwischen ist uns der Drache, ein aggressives Abfangprogramm erster Klasse, dicht auf den Fersen. Der Drache hat drei Köpfe – vermutlich stecken also drei Systemadministratoren hinter ihm – und verfügt mit Krallen, Zähnen und Feuer über das gängige Waffenarsenal. Hunderte von verschiedenen Viren samt solider Verteidigung! Natürlich braucht der Drache über dem Teich bloß leicht das Tempo zu drosseln.
    »Das Dritte habe ich als Erstes vergeudet«, gestehe ich.
    »Hättest du nicht mehr einpacken können? Warum musstest du unbedingt alles machen wie im Märchen – und nur drei Sachen mitnehmen?«, brüllt der Wolf. So stimmt das natürlich nicht. Niemand behängt sich mit zu vielen Kampfviren. Aber uns gehen gerade beiden die Nerven durch.
    Da trifft der Wolf eine Entscheidung, biegt scharf ab und beschleunigt. Vor einem wuchtigen, bemoosten Baumstumpf stoppt er derart abrupt, dass ich auf den Boden fliege. Er sieht mich mit eindringlichem Blick an – und springt über den Stamm.

    Ich ziehe ja Wasser vor, um mein Äußeres zu ändern. Einen Bach, einen Fluss, wenn es sein muss auch einen vollen Kochtopf. Aber Werwölfe sind konservativ.
    Der Wolf wirbelt in der Luft herum und verwandelt sich in einen Menschen. In einen jungen Mann in einem schlichten grauen Anzug und mit Lackschuhen. In meinen stets eleganten Freund, ebenfalls ein Diver. Doch kaum auf dem Boden gelandet, setzt er wieder an, springt ein zweites Mal und wird zu einer exakten Kopie von mir.
    »Vika, ich brauch einen Bach!«, befehle ich, sobald mir klarwird, was er vorhat.
    Doch der ehemalige Wolf hat mich bereits bei den Schultern gepackt. »Dazu haben wir keine Zeit!«, schreit er und schleudert mich über den Baumstamm.
    Von einem fremden Mimikry-Programm erfasst zu werden ist echt kein Vergnügen. Ich kann gerade noch flüstern: »Vika, sei friedlich!«, damit mein fürsorgliches Windows Home keinen Widerstand bei der Transformation leistet.
    Mit einem Wolfspelz bin ich das letzte Mal vor sehr langer

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