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Labyrinth der Spiegel

Labyrinth der Spiegel

Titel: Labyrinth der Spiegel
Autoren: Lukianenko Sergej
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nicht, dazu ist das Ding noch viel zu frisch.«
    »Und was soll ich jetzt machen?«
    »Mir ein Bier spendieren«, antwortete Maniac lachend. »Ich schick dir jetzt ’ne Mail, da ist die Medizin gegen dieses
Virus drin. Ein spezielles Antivirus. Lange Erklärungen kann ich mir sparen. Starte das Programm einfach, es checkt dann automatisch deinen Rechner. Das dauert ’ne Weile, schließlich ist das kein kommerzielles Produkt, sondern … mein persönlicher Schutz gegen mein eigenes Virus.«
    »Danke.«
    »Schon okay. Du hättest dir da beinahe gewaltig was eingebrockt, Ljonja.«
    »Verdammter Hacker!«, brummte ich. »Warum hast du mir nie was von dem Ding erzählt?«
    »Woher hätte ich denn wissen sollen, dass du in fremde Rechner einsteigst?«, gab Maniac gelassen zurück. »Frag mich halt beim nächsten Mal erst, bevor du dich an so ominöse Orte begibst. Okay, und jetzt schalt dein Modem ein!«
    Nach ein paar Minuten war das Antivirus da. Sofort startete ich das Programm. Es brauchte wirklich lange, jede Minute teilte es mir mit, dass eine neue Postkarte entdeckt worden sei. Der Polymorph hatte sich bereits durch den ganzen Computer gefressen.
    Damit hätte ich mir in der Tat gewaltig was eingebrockt.
    Während ich immer wieder auf den Bildschirm linste, schmierte ich mir ein enormes Wurstbrot und goss mir Tee ein, um damit auf den Balkon hinauszutreten. Es war bereits dunkel, und ein feiner Regen hatte eingesetzt. Die Luft war feucht und kalt.
    Selbstgefälligkeit wird uns Diver noch umbringen. Die Gefahren der virtuellen Welt jagen uns keine Angst ein – und genau das lullt uns ein.

    Dabei sind wir, so peinlich das auch ist, noch nicht mal Profis. Aus irgendeinem Grund taugen Hacker nämlich nicht zum Diver; vermutlich weil sie den virtuellen Raum für bare Münze nehmen.
    Ich dagegen – bis vor drei Jahren ein mittelmäßiger Designer bei einer Firma für PC-Spiele, die mir damals, als sie pleiteging, einen alten Rechner schenkte – war in die Tiefe eingetaucht und zum Diver geworden. Zu einem von Hundert auf der Welt.
    Ich hatte Glück gehabt.
    Wahrscheinlich hatte ich einfach Glück gehabt.

10
    Noch vor fünf Jahren war die virtuelle Welt ein reines Fantasieprodukt von Science-Fiction-Schriftstellern. Es existierten zwar schon Computernetze, VR-Helme, Sensoranzüge, aber all das war noch reichlich banal. Es gab Hunderte von Spielen, in denen sich der Held frei im dreidimensionalen und bunten Cyberspace bewegen konnte, aber von einer virtuellen Welt konnte noch keine Rede sein.
    Eine computergenerierte Welt ist nämlich viel zu primitiv. Sie hält noch nicht mal dem Vergleich mit einem Zeichentrickfilm stand, geschweige denn den mit einem Spielfilm. Wie sollte sie da gegen die reale Welt ankommen? Klar, man kann durch ein virtuelles Labyrinth oder Schloss rennen und gegen Monster oder gegen Freunde an anderen PCs kämpfen. Aber selbst im Eifer des Gefechts wird niemand Illusion und Wirklichkeit miteinander verwechseln.
    Die Computernetze ermöglichten die Kommunikation mit Menschen in aller Welt. Aber das war nur ein Austausch von Zeilen auf dem Bildschirm, bestenfalls
prangte neben dem Text eine Karikatur des Gesprächspartners.
    Für echte virtuelle Realität waren leistungsstärkere Rechner, unglaublich gute Verbindungen und die Schwerstarbeit Tausender von Programmierern nötig. Trotzdem hätte man noch Jahrzehnte gebraucht, um eine Stadt wie Deeptown zu bauen.
    All das änderte sich jedoch schlagartig, als Dmitri Dibenko, einst ein Moskauer Hacker und heute ein überaus erfolgreicher amerikanischer Geschäftsmann, die Tiefe erfand. Es war nicht mehr als ein kleines Softwarepaket und ein Film, der allerdings das Unterbewusstsein des Menschen beeinflussen sollte. Angeblich war er verrückt nach Castaneda, hatte ein Faible für Meditation und kiffte. Das glaube ich gern. Seine früheren Freunde versichern, er sei zynisch und faul gewesen, abgerissen und im Grunde keine große Leuchte. Auch das glaube ich gern.
    Aber ihm ist die Tiefe zu verdanken. Ein Film von zehn Sekunden, der über den Bildschirm läuft und an sich völlig harmlos ist. Wenn man ihn im Fernsehen ausstrahlt (angeblich sind einige Länder dieses Risiko sogar eingegangen), spürt der Zuschauer nicht das Geringste, er wird nicht Teil des Films. Dmitri selbst wollte eigentlich nur einen stimulierenden Hintergrund für seine Meditationen auf den Bildschirm zaubern. Einzig und allein dafür hat er diesen Film gemacht, den er dann ins
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