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Labyrinth der Spiegel

Labyrinth der Spiegel

Titel: Labyrinth der Spiegel
Autoren: Lukianenko Sergej
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Netz stellte. Zwei Wochen lang schöpfte er nicht den leisesten Verdacht.
    Dann jedoch stieß ein junger Typ aus der Ukraine auf die schillernden Farben des Deep-Programms. Völlig unbedarft
startete er sein Lieblingsspiel, Doom. Da waren sie, die virtuellen Gänge und Gebäude, die widerlichen Monster und der kühne Held mit der Schrotflinte in der Hand. Jenes schlichte dreidimensionale Spiel, das am Anfang einer ganzen Epoche von PC-Spielen stand.
    Und der Ukrainer stieg ins Spiel ein.
    Das leere Büro (es war bereits spät am Abend) des Patentamts, wo er arbeitete, verschwand. Er sah den Rechner, an dem er saß, nicht mehr. Seine Finger hämmerten auf die Tastatur ein und brachten die designte Figur dazu, sich zu bewegen, sich umzudrehen und zu schießen. Dem Mann kam es vor, als renne er selbst durch die Gänge, bringe sich vor Feuerbeschuss und zähnefletschenden Monstern in Sicherheit. Er wusste, dass es ein Spiel war, aber er wusste nicht, warum es Realität geworden war und wie er es beenden konnte.
    Ihm fiel nur eine Lösung ein: Er musste das Spiel zu Ende spielen. Und das tat er dann auch, selbst wenn es viel schwieriger war als bisher.
    Eine leichte Verwundung setzte jetzt nämlich nicht nur die Lebenskraft der Figur auf dem Bildschirm herab, sondern wurde zu einer echten Wunde. Mit Schmerz, Schwäche und Angst. Der blutüberströmte Boden war mit einem Mal glitschig, die Steinplatte, hinter der das Versteck mit der Munition lag, richtig schwer, die Geschosshülsen glühten, und der Rückstoß des Granatwerfers riss ihn beinahe um. Das Elixier zur Wiederherstellung der Kräfte schmeckte abscheulich bitter. Nun bemerkte er auch, dass die aus feinen Metallplättchen gearbeitete, kugelsichere Weste zwar recht leicht war, ihm aber zu groß;
außerdem drückten die Bänder im Rücken. Nach gut drei Stunden hakte der Abzug der Flinte und konnte nur noch ganz langsam gezogen werden, indem er mit dem Finger daran ruckelte.
    Um fünf Uhr morgens war er am Ziel. Die Monster waren alle vernichtet. Auf der Steinwand vor ihm baute sich das Menü des Spiels auf. Mit einem Triumphschrei stieß er den Lauf der Flinte auf das Wort »Exit«.
    Die Illusion verpuffte. Er saß wieder vor dem friedlich brummenden Rechner, seine Augen tränten, die Tastatur war nach der Bearbeitung mit den steifen Fingern völlig im Eimer. Die Taste, die im Spiel als Abzughahn gedient hatte, klemmte.
    Der Mann fuhr den Computer herunter und schlief direkt auf dem Stuhl ein. Als seine Kollegen zur Arbeit kamen, fielen ihnen blaue Flecken auf, die seinen ganzen Körper bedeckten.
    Er berichtete ihnen, was geschehen war, aber natürlich glaubte ihm niemand. Erst am Abend, als er selbst noch einmal in Ruhe über alles nachdachte, fiel ihm das Meditationsprogramm von Dibenko wieder ein. Da kam ihm ein vager Verdacht.
    Eine Woche später war die ganze Welt im Fieber. Mit Ausnahme der Hard- und Softwarefirmen mussten sämtliche Unternehmen Milliardenverluste einstecken, denn alle, von den Entwicklern angefangen bis hin zu den Sekretärinnen und Setzerinnen, wollten in den Cyberspace.
    Dibenko stand bei der Namensgebung seines Programms Pate, und als »Deep« trat es seinen Siegeszug durch die ganze Welt an. Später gab es Untersuchungen, die belegten,
dass circa sieben Prozent aller Menschen immun gegen die Tiefe sind und dass ein VR-Aufenthalt von mehr als zehn Stunden pro Tag zu Nervenstörungen und Pseudoschizophrenie führen konnte. Es verging ein Monat bis zum ersten Tod im virtuellen Raum: Ein älterer Mann, dessen Zerstörer bei einer Weltraumschlacht über einem von intelligenten violetten Reptilien bewohnten Planeten verbrannt war, erlag direkt an der Computertastatur einem Herzinfarkt.
    Aber das konnte schon niemanden mehr aufhalten oder abschrecken.
    Die Welt tauchte in die Tiefe ab.
    Microsoft, IBM und das Internet schufen Deeptown.
    Der entscheidende Vorteil von Deep war, dass es kaum Anforderungen stellte. Man brauchte die Häuser und Paläste, die Gesichter der Menschen und die Autos nicht in allen Einzelheiten zu designen. Grobe Umrisse und kleine, unverwechselbare Details reichten völlig. Eine braune, in Rechtecke unterteilte Wand – und fertig war das Ziegelmauerwerk. Blau oben, das war der Himmel, Blau an den Beinen – Jeans.
    Die Welt tauchte ab. Und sie hatte nicht die Absicht, wieder an die Oberfläche zurückzukehren. Denn in der Tiefe war es weitaus interessanter. Mochte sie auch nicht allen offenstehen, die intelligente
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