Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Labyrinth der Spiegel

Labyrinth der Spiegel

Titel: Labyrinth der Spiegel
Autoren: Lukianenko Sergej
Vom Netzwerk:
Zeit unterwegs gewesen. Damals war der virtuelle Raum noch ganz jung, und alle haben mit Metamorphosen herumexperimentiert. Zum Glück brauche ich nicht auf allen vieren zu stehen, ich verändere mich ja nur äußerlich. Ich schnalle das Schwert ab und übergebe es dem frischgebackenen Iwan Zarewitsch, der die Waffe an sich nimmt und mir auf die Schultern springt.
    »Vorwärts, du lahmer Sack!«, ruft er und rammt mir die Hacken in die Seite. Ich stürme los, was höchste Zeit wurde, denn über den Bäumen taucht jetzt der Drache
auf. Er schießt im Sturzflug auf uns zu und stößt drei Flammensäulen aus. Genau in unsere Richtung.
    »Schneller!«, schreit mein Partner, um dann flüsternd hinzuzufügen: »Heute Abend, wie immer!«
    Ich schüttle mich heftig, werfe ihn ab und laufe davon, während er mich mit Flüchen überschüttet.
    Der Drache kreist kurz über uns, ehe er das Offensichtliche wählt und neben dem Märchenhelden runtergeht. Der feige Partner interessiert ihn nicht.
    Genau darauf haben wir gehofft.
    »Vika«, flüstere ich im Laufen, »überspiele die neuen Daten!«
    Hinter mir tobt der Kampf. Nicht sehr lange, nebenbei bemerkt. Der Freund trifft den Drachen zwar mit dem Schwert, aber das Abfangprogramm ist viel zu gut gesichert, als dass das Virus etwas ausrichten könnte. Irgendwann schäumt um ihn eine weiße Schneewolke auf, und er erfriert.
    Wird einfach tiefgefroren. Game over. Mein Freund ist ausgeschieden, inzwischen nimmt er zu Hause bereits seinen VR-Helm ab. Vor dem dreiköpfigen, zähnefletschenden Drachen steht bloß noch seine Kopie mit der Beute – falls er die hätte, logisch.
    Der Drache hämmert sanft mit der Pfote auf den gefrorenen Körper, bis der in unzählige Eissplitter zerfällt. Alle drei Köpfe beugen sich hinunter, um den geklauten Apfel zu suchen.
    Unterdessen renne ich weiter.
    Der Apfel in meinem Ausschnitt wird in einem fort leichter, da sich inzwischen immer mehr Daten auf meinem PC befinden. Ich schlage noch ein paar Haken zwischen
den Bäumen, bevor ich anhalte, damit Windows Home die Daten schneller übertragen kann.
    Doch schon holt mich das Brüllen des Drachen ein. Der hat das Diebesgut nicht entdecken können und unser Spiel mittlerweile durchschaut.
    Wer ist jetzt schneller?
    Der Drache erhebt sich wieder in die Luft. Mich zu finden würde ihm nicht das geringste Problem bereiten, letztlich hinterlässt jede Bewegung im virtuellen Raum Spuren. Deshalb bleibe ich stehen und warte ab.
    »Datenübertragung abgeschlossen.«
    Ha! Triumph!
    »Verlassen!«, befehle ich.
    »Bist du sicher?«, hakt Windows Home nach.
    »Ja.«
    »Verlassen des virtuellen Raums«, erklärt der Computer. Vor meinen Augen flackern bunte Funken. Die Welt verliert ihre Schärfe, verwandelt sich in ein blasses, zweidimensionales Bild.
    »Der Austritt aus dem virtuellen Raum ist erfolgreich abgeschlossen!«, teilte mir Windows Home freundlich mit. Die Stimme aus den Kopfhörern überrumpelte mich, außerdem war sie zu laut. Auf den Displays flog – genauer gesagt: fiel – vor blauem Hintergrund die kleine weiße Figur eines Menschen zu Boden: das allseits bekannte Logo von Deep, der Tiefe , der virtuellen Welt.
    Nachdem ich den Helm abgenommen hatte, musste ich blinzeln. Als ich auf den Monitor blickte, sah ich dort das gleiche Bild.
    »Danke, Vika«, sagte ich.

    »Keine Ursache, Ljonja«, antwortete Windows Home. Diese winzige Höflichkeit hatte ich Vika vor einer Woche beigebracht. Es gefiel mir, wenn die Software menschlicher auftrat als unbedingt nötig.
    »Und jetzt das Terminal!«
    Das Blau löste sich auf, um dem Terminalfenster Platz zu machen. Ich loggte mich manuell beim sechsten, noch nicht identifizierten Router ein und löschte meinen Account, desgleichen meine temporäre Adresse in Österreich.
    Die wesentlichen Fäden waren damit gekappt. Macht euch ruhig an die Arbeit, ihr Jungs von Al Kabar. Durchforstet alle Logs nach Iwan Zarewitsch! Denn der Diver ist nicht in eure Falle getappt!
    Ich verzichtete auf die Sprachsteuerung, um Windows Home zu schließen und den dreidimensionalen Norton-Commander aufzurufen. Ich klickte Laufwerk D an, in dem meine gesamte Beute aus dem virtuellen Raum sowie eine kleinere Sammlung von Viren gespeichert war. Da war er auch schon, der Apfel, eine Datei von anderthalb Megabyte. Äußerlich ein stinknormales Dokument für den Textredakteur von Advanced Word, verknüpft mit zwei kleineren Dateien. Sicherheitssoftware? Ich startete den
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher