Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
So hoch wie der Himmel

So hoch wie der Himmel

Titel: So hoch wie der Himmel
Autoren: Nora Roberts
Vom Netzwerk:
Prolog
    Kalifornien, 1846
    Er würde nie zurückkommen. Der Krieg hatte ihn ihr geraubt. Sie spürte es, spürte seinen Tod in der Leere, die in ihrem Herzen herrschte. Felipe war nicht mehr. Die Amerikaner – oder vielleicht sein Drang zu beweisen, was für ein Mann er war – hatten ihn umgebracht. Als Seraphina hoch oben auf den zerklüfteten Klippen über dem brodelnden Pazifik stand, wusste sie, dass sie ihn verloren hatte.
    Dichte Nebelschwaden stiegen auf, aber sie zog ihren Umhang nicht enger. Die Kälte, die sie spürte, befand sich in ihren Knochen, ihrem Blut. Sie würde sie nie wieder los.
    Stundenlang hatte sie auf den Knien gelegen und Gebete zur Mutter Gottes hinaufgeschickt, damit diese ihren Felipe schütze in dem Krieg gegen die Amerikaner, die es auf Kalifornien abgesehen hatten – doch nun war ihre Liebe tot.
    Gefallen in Santa Fe. Die Nachricht, die ihr Vater erhalten hatte, besagte, dass sein junges Mündel in der Schlacht gefallen war, niedergemäht bei dem Versuch, die Stadt gegen die Eindringlinge zu verteidigen. Dort lag er begraben, so weit entfernt von hier. Nie mehr sähe sie in sein Gesicht, nie wieder dränge seine Stimme an ihr Ohr, und die gemeinsame Zukunft, die man sich ausmalen konnte, war dahin.
    Felipes Drängen hatte sie sich widersetzt. Sie war nicht nach Spanien zurückgesegelt, um dort ruhigere Zeiten abzuwarten. Statt dessen hatte sie ihre Mitgift an einem sicheren Ort versteckt, das Gold, das für den Aufbau ihres jungen Lebens bestimmt gewesen war – des Lebens, von dem sie geschwärmt hatten an zahlreichen sonnigen Tagen hier oben auf dem Klippenrand. Ihr Vater hätte sie Felipe gegeben, wäre der als Held aus dem Krieg zurückgekehrt. Das hatte Felipe gesagt und ihr beim Abschied die Tränen aus dem Gesicht geküßt. Sie bekämen ein wunderschönes Haus, viele Kinder und würden einen herrlichen Garten anlegen. Er hatte ihr versprochen, dieses Märchen mit ihr zu verwirklichen.
    Nur, dass er nun für alle Zeit verloren war.
    Möglicherweise hätte sie nicht so eigensüchtig sein dürfen. Sie hatte hierbleiben wollen, in der Nähe von Monterey, statt durch einen Ozean von ihm getrennt zu sein. Und als die Amerikaner gekommen waren, hatte sie ihre Mitgift versteckt, aus Furcht, sie raubten sie, wie bereits so vieles andere zuvor.
    Nun hatten sie ihre Hauptsache niedergemäht. Und sie trauerte aus tiefstem Herzen, weil Felipe ihr sicher wegen ihrer Sünden genommen worden war. Sie hatte ihren Vater belogen und heimliche Stunden mit ihrem Liebsten verbracht. Sie hatte sich ihm hingegeben, ohne den Segen Gottes und der Kirche. Darauf stand Verdammnis, dachte sie, und senkte den Kopf vor den harten Angriffen des Sturms. Gott hatte ihr die größte aller Strafen auferlegt.
    Sie hatte keine Träume mehr. Keine Hoffnung, keine Liebe, die sie hielt! Der Himmel hatte ihren Felipe geholt. Und so hob sie, sechzehn Jahren religiöser Erziehung und einem Leben in Frömmigkeit zum Trotz, den Kopf, verfluchte Gott – und sprang.
    Einhundertdreißig Jahre später waren die Klippen in goldenes Sommerlicht getaucht. Möwen schwebten über dem Ozean, wandten ihre weißen Bäuche dem tintenblauen Wasser zu und zogen mit ihren durchdringenden Schreien weiter aufs Meer hinaus. Blumen schoben sich, trotz der Zartheit ihrer Blüten, hartnäckig durch den harten Grund, kämpften sich durch dünne Felsspalten zum Sonnenlicht hinauf und verwandelten die harsche Szenerie in etwas Liebliches. Der Wind war so sanft wie die Hand eines Liebenden. Der Himmel erstrahlte in reinster Bläue.
    Drei junge Mädchen saßen am Klippenrand und blickten grüblerisch aufs Meer hinaus. Sie kannten die Legende, und jede von ihnen hatte ihr ganz persönliches Bild von Seraphina in dem letzten verzweifelten Augenblick, ehe sie in den Tod sprang.
    Laura Templeton sah in ihr eine tragische Gestalt, die sich mit tränennassen Wangen, eine einzelne Blume in der Hand, aus der Einsamkeit der windumtosten Höhe in die Tiefe stürzte.
    Jetzt weinte sie um sie, sah mit traurigen grauen Augen aufs Meer hinaus und fragte sich, was sie getan hätte anstelle der jungen Frau. Für Laura lag die Romantik der Geschichte gerade in ihrer Tragödie begründet.
    Kate Powell fand, dass Seraphinas Ende eine entsetzliche Vergeudung war. Sie runzelte die Stirn und zupfte mit einer ihrer schmalen Hände an einem Büschel von wildem Gras. Es stimmte, dieses Schicksal rührte sie, aber ihr mißfiel Seraphinas spontaner – und falscher –
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher