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Kurzgayschichten

Kurzgayschichten

Titel: Kurzgayschichten
Autoren: E. Meyer
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obwohl du mich nicht siehst, schauen sie in meine Richtung ...“
    „Weil ich dich höre“, erkläre ich.
    „Deine Iriden sind gräulich umrandet, das lässt sie noch faszinierender wirken“, fügt er unsicher hinzu.
    Ich habe nie daran gedacht, auch nur annähernd irgendwie auf jemanden zu wirken, dass meine Augen jemanden faszinierten, irritiert mich.
    „Tut mir leid, du fühlst dich jetzt sicher belästigt, weil dir das ein Mann gesagt hat.“ Er scheint an dem Ende der Bettwäsche zu spielen, als es leise raschelt.
    Ich fühle mich keineswegs belästigt, im Gegenteil, ich möchte mehr hören, wissen, wie ich auf andere wirke, mit einem Mal ist es mir wichtig, wie ich aussehe.
    „Nein ... bitte beschreib mich weiter ...“
    Er zögert, fährt dann aber fort.
    „Du hast lange Wimpern, die perfekt zu den Augen passen, dein Mund ist klein aber voll, deine Haare sind Kornfarben, aber auch ein bisschen bräunlich, schwer zu sagen, ich würde fast Walnussfarben sagen ... Du bist ziemlich schlank, fast mager, aber nicht kränklich, vielleicht etwas blass, aber das könnte auch der Nachhall des Unfalls sein, oder der Desinfektionsgeruch hier ...“
    Ich schließe die Augen und lausche seiner angenehmen Stimme. Fast kann ich mir wirklich vorstellen, wie ich aussehe. Noch nie hat mich jemand so beschrieben.
    „Wie siehst du aus?“ Nach Minuten völliger Stille ergreife ich wieder das Wort.
    Ich bin wirklich neugierig, will wissen wie der Mann mit der tiefen Stimme aussieht, der hier mit einer Engelsgeduld sitzt, als sei ich etwas besonderes.
    „Was?“ Er wirkt irritiert, daher wiederhole ich meine Frage.
    Er scheint zu überlegen. „Ehrlich gesagt, bin ich nicht sehr gut darin mich zu beschreiben, so oft sehe ich nun auch nicht in den Spiegel ...“ Wieder das reibende Geräusch.
    „Darf ich es erfühlen?“
    Er zögert, dann ächzt die Matratze leise, bis sie auf Höhe meines Oberarms nachgibt.
    Ich strecke meine Hand aus, die sogleich von seiner umfasst wird, um sie zu seinem Gesicht zu dirigieren.
    Er führt sie zu seiner Wange und lässt dann los. Er scheint sich nicht rasiert zu haben, was mich schmunzeln lässt. Ich fahre die Wange hinunter bis zum Kinn, das ein wenig kantig ist.
    Er wirkt verspannt, seine Gesichtsmuskeln sind nicht gelockert, das fühle ich.
    „Ist es dir unangenehm?“
    „Nein, mach ruhig weiter ...“ Er entspannt sich wieder etwas.
    Ich fahre den Nasenknochen entlang, der einen leichten Höcker aufweist, der optisch aber sicher nicht sehr auffällt, wieder die Wangenknochen entlang über die geschlossenen Augen.
    „Welche Farbe haben sie?“
    Er macht einen ziemlich verwirrten Eindruck auf mich. „Was?“
    „Die Augen, welche Farbe haben deine Augen?“, wiederhole ich leise.
    „Blau.“
    Ich streiche über die Stirn, die völlig faltenfrei ist und zögere beim Mund.
    Ob ich ihn da berühren darf oder geht das vielleicht zu weit? Soll ich vielleicht fragen?
    Ich bin mir ziemlich unsicher, als ich mit den Händen wieder die Wangen hinunter streiche und dann das stoppelige Kinn ertaste.
    Ich lasse es auf einen Versuch ankommen und berühre mit dem Zeigefinger erst die schmale Oberlippe, dann die Unterlippe, spüre dabei den leichten Atem an meinem Finger.
    Er sagt nichts, was mich erleichtert aufatmen lässt.
    Schließlich lasse ich meine Finger noch durch die leicht lockigen Haare, die ihm bis zum Ohrläppchen gehen, wandern.
    Ich streiche über die Schultern, die muskulösen Ober- und Unterarme, die von dem Arztkittel verdeckt sind und beneide ihn heimlich für den männlichen Körperbau. Alles in allem ist er sicher der Typ Mann, dem die Frauen hinterherlaufen.
    Er überrascht mich, als er das Wort und auch meine Hand ergreift.
    „Ich weiß, das klingt jetzt sicher sehr seltsam, aber möchtest du vielleicht mit mir nach Hause kommen, es ist nicht sehr weit von hier, falls deine Kopfschmerzen stärker werden sollten, wären wir in Windeseile wieder hier und du müsstest Heiligabend nicht allein hier verbringen.“
    Ich überlege. Im Grunde kenne ich den Mann gar nicht, vielleicht ist er gar kein Arzt, auch wenn er die typische Arztbekleidung trägt, heutzutage kann man ja nie wissen.
    Andererseits merke ich erst jetzt, wie einsam ich wirklich bin, irgendetwas in mir schreit förmlich danach, mit ihm zu gehen.
    Erst jetzt fällt mir auf, wie sehr ich mich nach Kommunikation und Nähe sehne, wie meine Finger bei der Berührung fremder Haut geprickelt haben. Ich weiß nicht recht,
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