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Kurzgayschichten

Kurzgayschichten

Titel: Kurzgayschichten
Autoren: E. Meyer
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Heiligabend hier verbringen muss, hm?“
    Patrick Kliese, der Chirurg, scheint in irgendwelchen Unterlagen herumzublättern, da das leise Rascheln von Papier zu hören ist.
    „Nun, Sie haben sich Ihren linken Arm gebrochen und etliche Blessuren, Sie sind ungünstig auf den Hinterkopf gefallen ... Haben Sie Kopfschmerzen?“
    „Ja, ziemlich ...“
    Wieder seufzt er. „Ich will ehrlich sein, Sie können auf eigene Verantwortung das Krankenhaus verlassen, aber das würde ich Ihnen unter keinen Umständen empfehlen, der Bruch ist zwar harmlos, aber Ihr Kopf macht uns Sorgen.“
    „Verstehe ...“ Bei dem Gedanken weiterhin diesen Desinfektionsgeruch ertragen zu müssen, wird mir wirklich schlecht.
    „Ich weiß, nicht gerade das, was man sich unter Weihnachten vorstellt, aber Ihre Verwandten kommen sicher her ...“
    „Sicher nicht, meine einzigen Verwandten, meine Eltern, leben in Amerika. Ich hätte Weihnachten also sowieso allein verbracht, wo, ist mir eigentlich auch egal, nur dieser Geruch stört mich ungemein.“
    Leises Seufzen, dann gibt die rechte Hälfte der Matratze leicht nach. „Das tut mir leid, Herr Marten.“
    „Sagen Sie ruhig Jim und du ...“ Ich schätze ihn von der Stimme her kaum älter ein als mich. Und er nimmt mein Angebot an.
    „Wenn es dich nicht stört, leiste ich dir etwas Gesellschaft, Jim, für mich scheint es erst mal nichts mehr zu tun zu geben und in drei Stunden habe ich sowieso Feierabend.“
    „Danke.“ Ich weiß nicht, wieso er bei mir bleiben will, aber der Gedanke Heiligabend nicht ganz allein zu sein beruhigt mich.
    „Hast du vielleicht Freunde, die wir benachrichtigen sollen? Vielleicht eine Lebensgefährtin?“
    Ich unterdrücke den Impuls aufgrund dieser Ironie loszulachen.
    „Nein, weder noch ...“, versuche ich stattdessen so neutral wie möglich zu klingen.
    Er scheint erstaunt. „Hast du überhaupt niemanden, ich meine außer deinen Eltern?“
    Ich brauche nicht lange zu überlegen. „Nein.“
    Er scheint wieder unsicher, ruckelt sich leicht auf dem Bett zurecht, bis die Matratze leise ächzt.
    „Das versteh ich nicht, wenn ich ehrlich bin, du scheinst nett, siehst wirklich gut aus, da dürfte deine Blindheit doch kein so großes Hindernis sein.“
    Ich lache heiser. „Blindheit ist eine Behinderung, es gibt nicht viele, die scharf darauf sind mit einem ‚Behinderten‘ zusammen zu sein ...“
    Er will mir widersprechen, das verrät das tiefe Luftholen, doch er tut es nicht.
    Dann herrscht Schweigen im Raum, sodass ich schon denke, er sei gegangen, doch ich spüre noch immer sein Gewicht auf der Matratze.
    „Wie alt bist du?“
    Es überrascht mich ehrlich gesagt, dass dieser Mann immer noch Interesse daran hat, mit mir zu reden. Aber in die Akte hat er offenbar wirklich nicht gesehen, sonst hätte er mein Alter gewusst.
    „24.“
    „Und Sie?“ Ich zögere, ihn zu duzen, weil er es nicht angeboten hat. Doch das holt er schnell nach.
    „Ich bin 32 und sag ruhig Patrick, sonst komm ich mir noch älter vor.“ Er lacht leise, ein wenig unsicher. „Was machst du so? Ich meine, du scheinst sehr einsam zu sein ...“
    Seine Stimme klingt belegt, ganz so als würde er Mitleid empfinden. Aber das möchte ich nicht.
    „Ich ‚lese‘ viel, auch wenn man das sicher nicht denkt, es gibt eine Reihe von Büchern bereits in Blindenschrift oder als Hörbücher, ansonsten – ehrlich gesagt – nicht sehr viel.“
    Auf die Einsamkeit gehe ich bewusst nicht ein, es geht mir nicht darum Mitleid zu erheischen, sondern anerkannt zu werden.
    „Was machst du?“ Ein wenig interessiert es mich wirklich, was der Mann mit der angenehmen Stimme außerhalb seines Berufes tut.
    „Ich arbeite sehr viel, da ist kaum Platz für Freizeitbeschäftigungen, ich gehe gern spazieren, vor allem mit meinem Hund Lina. Nicht gerade abenteuerlustig, hm?“ Er lacht wieder leise, angenehm.
    Dann herrscht Schweigen zwischen uns.
    Als er wieder spricht, überrascht er mich. „Du hast faszinierende Augen, versteh mich nicht falsch, also, das soll jetzt keine Anmache werden oder so ...“ Seine Stimme wird leicht hektisch und verrät das Gegenteil.
    Ich weiß nicht, ob ich mich über das Kompliment freue, irgendwie kann ich damit nicht umgehen.
    „Was ist denn so faszinierend?“, frage ich daher neutral.
    Das scheint ihn zu verunsichern, denn schon wieder höre ich das leichte Reiben über den Jeansstoff.
    „Nun ja, sie sind fast Grasgrün und glänzen matt, wie geschliffene Steine und
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