Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Kurze Geschichte des Traktors auf ukrainisch

Titel: Kurze Geschichte des Traktors auf ukrainisch
Autoren: Marina Lewycka
Vom Netzwerk:
auszuschließen sei. Einbindung in soziale Strukturen mit unaufdringlicher Beaufsichtigung jedoch
     würde es Mr.   Majevski noch über Jahre hinaus ermöglichen, selbständig und ohne fremde Hilfe zu leben.
    Der Brief erfüllt seinen Zweck bezüglich der Warteliste. Mich aber enttäuscht er. Er enthält nichts über den weitschweifigen
     Nietzsche-Anhänger, den non-paranoiden Philosophen und seine aufgetakelte, um so vieles jüngere Ehefrau. Erinnert der Psychiater
     sich nicht mehr an diese Konsultation, die Vater mir so ausführlich geschildert hat? |353| War sein Schreiben nur die formale Antwort auf eine Routineanfrage, die seine Sekretärin nach einem kurzen Blick in die Unterlagen
     abgefasst hat? Doch vielleicht hat er sich auch nur an die Richtlinien der ärztlichen Schweigepflicht gehalten, oder vielleicht
     ist er so beschäftigt, dass er sich gar nicht mehr an Einzelheiten bei dem einen oder anderen seiner Patienten erinnern kann.
     Oder er hat es mit so vielen verrückten Leuten zu tun, dass Vater überhaupt nicht in diese Kategorie fällt. Vielleicht weiß
     er etwas, was er aber nicht sagen möchte. Am liebsten würde ich ihn anrufen und fragen – ja, ich möchte ihm die Frage stellen,
     die ich bislang nie ausgesprochen habe, obwohl ich sie mit mir herumtrage, solange ich denken kann: Ist mein Vater wirklich
     – normal?
    Nein. Ich werde es nicht tun. Wozu sollte es gut sein?
     
    Kurz vor Weihnachten fahren Vera und ich für einige Tage in unser Elternhaus, um mit dem Ausräumen anzufangen, damit es im
     Frühjahr zum Verkauf angeboten werden kann. Es ist so viel durchzusehen, auszusortieren und wegzuwerfen, dass uns nicht viel
     Zeit bleibt, um wirklich miteinander zu reden, wie ich es mir eigentlich erhofft hatte. Die Nächte verbringe ich oben im Etagenbett,
     während Vera in Valentinas früherem Zimmer schläft.
    Vera ist sehr geschickt im Umgang und Verhandeln mit Anwälten, Maklern und Handwerkern, und ich überlasse ihr diesen Part
     gern. Sie wiederum überlässt es mir, die Autos loszuwerden, ein neues Heim für die Katzen zu finden und alles zusammenzusuchen,
     was Vater meint, dringend in sein neues Leben mitnehmen zu müssen: auf jeden Fall alle seine Werkzeuge inklusive der Klemmschrauben
     und ein gutes Metallmaßband und einige Küchenutensilien und scharfe Messer, und selbstverständlich muss er seine Bücher und
     die Fotos behalten, denn da er jetzt ja das Traktoren-Buch |354| abgeschlossen hat, will er sich an seine Memoiren machen, und dann noch den Plattenspieler und die Schallplatten, ja, und
     seine lederne Fliegerkappe und Mutters Nähmaschine, weil er die nämlich von Handbetrieb auf Strom umrüsten will, und zwar
     mit dem kleinen Motor des elektrischen Dosenöffners, den Valentina nicht mitgenommen hat – der im Übrigen auch nicht viel
     getaugt hat   –, und außerdem noch das Getriebe seiner alten Francis Barnett, das, eingewickelt in ein Wachstuch, hinten in der Garage in
     einer Werkzeugkiste liegt, na ja, und vielleicht auch ein paar Sachen zum Anziehen und was sonst noch so in die kleine Wohnung
     hineinpasst (was nicht viel ist).
    Als Vera und ich hier so zusammen arbeiten, fällt mir auf, dass wir uns auf eine bisher nicht gewohnte Weise näher kommen,
     nicht über Gespräche, sondern über pragmatisches Vorgehen. Wir sind zu Partnern geworden. Es ist alles gesagt, was gesagt
     werden musste, und wir können jetzt unser Leben weiterleben. Obwohl – wirklich alles ist noch immer nicht gesagt.
     
    Eines winterlich sonnigen Nachmittags unterbrechen wir unsere Räumarbeiten für einen Spaziergang zum Friedhof. Wir haben für
     Mutters Grab die letzten Rosen im Garten geschnitten – wunderbare weiße, bis in den Winter hinein blühende Rosen – und sie
     mit einigen immergrünen Ranken in einer Tonvase vor den Grabstein gestellt. Jetzt sitzen wir auf dem Bänkchen unter dem kahlen
     Kirschbaum und schauen über die weiten, bis zum Horizont reichenden Felder.
    »Vera, wir müssen noch etwas anderes regeln. Ich meine die Sache mit dem Geld.«
    Meine Handflächen sind feucht, aber ich versuche meine Stimme fest klingen zu lassen.
    »Ach, darüber musst du dir keine Sorgen machen. Ich |355| habe eine gut verzinste Anlageform gefunden, bei der wir eine Auszahlungsmodalität vereinbaren können. Die Kosten für seine
     Miete und andere Ausgaben werden dann monatlich direkt an die Stiftung überwiesen, und für das Konto sind wir beide
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher