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Kurze Geschichte des Traktors auf ukrainisch

Titel: Kurze Geschichte des Traktors auf ukrainisch
Autoren: Marina Lewycka
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|7| 1.
Zwei Anrufe und eine Beerdigung
    Zwei Jahre nach dem Tod meiner Mutter verliebte sich mein Vater in eine berückende blonde geschiedene Frau aus der Ukraine.
     Er war vierundachtzig, sie sechsunddreißig. Wie eine flauschige rosa Granate schoss sie in unser Leben, wirbelte trübes Wasser
     auf, brachte den ganzen Morast längst versunkener Erinnerungen wieder an die Oberfläche und trat unseren Familiengespenstern
     kräftig in den Hintern.
     
    Mit einem Anruf fing alles an.
    Mein Vater krächzt mit vor Erregung zittriger Stimme in die Leitung: »Gute Neuigkeiten, Nadeshda! Ich heirate!«
    Ich weiß noch, wie mir schlagartig heiß wurde. Das kann doch nicht sein Ernst sein! Hat er nicht mehr alle Tassen im Schrank?
     Dreht er auf seine alten Tage jetzt durch? Aber ich sage nur: »Freut mich, Papa.«
    »Ja. Sie hat einen Sohn und kommt aus der Ukraine. Aus Ternopil.«
    Aus der Ukraine. Er denkt an früher, an blühende Kirschbäume und den Duft von frisch gemähtem Gras, und seufzt. Ich dagegen
     spüre den Synthetik-Hauch des neuen Russland.
    Sie heißt Valentina, erzählt er. Aber sie erinnert eher an eine Venus. »Die den Fluten entsteigende Venus von Botticelli.
     Du weißt schon: goldenes Haar, wunderschöne Augen |8| , fantastischer Busen. Wenn du sie siehst, verstehst du, was ich meine.«
    Die erwachsene Frau in mir ist nachsichtig. Süß, so ein letztes spätes Liebesglühen. Die Tochter in mir ist beleidigt. Verräter!
     Alter geiler Bock! Mutter ist gerade mal zwei Jahre tot. Ich bin wütend, aber auch neugierig. Diese Frau, die meine Mutter
     verdrängt, möchte ich sehen.
    »Klingt ja toll. Wann kann ich sie kennen lernen?«
    »Wenn wir verheiratet sind.«
    »Findest du nicht, es wäre besser, wenn wir sie vorher zu Gesicht bekämen?«
    »Warum denn? Ihr heiratet sie doch nicht.« (Es ist ihm also klar, dass da etwas nicht ganz in Ordnung ist, aber offenbar meint
     er, er käme damit durch.)
    »Hast du dir das wirklich gut überlegt, Papa? Es kommt mir etwas überstürzt vor. Ich meine, sie muss doch auch um einiges
     jünger sein als du?«
    Ich moduliere meine Stimme sehr sorgfältig, versuche mein Missfallen nicht durchklingen zu lassen – wie eine welterfahrene
     Erwachsene, die auf einen liebestollen Jüngling einredet.
    »Sechsunddreißig. Sie ist sechsunddreißig und ich bin vierundachtzig – was soll’s?« (»Was« klingt bei ihm immer wie »fass«.)
     Die Art, wie er mir das hinblafft, zeigt deutlich, dass er auf diese Frage gewartet hat.
    »Ziemlich großer Altersunterschied   …«
    »Dass du so spießig bist, hätte ich nicht erwartet.«
    »Was?« Jetzt drängt er mich in die Defensive. »Nein, ich meine doch nur   … es könnte Probleme geben.«
    Papa meint, nein, es wird keine Probleme geben. Er hat alles genau bedacht. Er kennt Valentina seit drei Monaten. Sie ist
     mit einem Touristenvisum gekommen, um ihren Onkel in Selby zu besuchen. Sie will mit ihrem Sohn im Westen ein neues Leben
     beginnen, ein schönes Leben mit einem |9| guten Job für gutes Geld und mit einem schönen Auto – auf gar keinen Fall ein Lada oder ein Skoda – und mit einer guten Ausbildung
     für den Sohn, Oxford/Cambridge, mindestens. Sie selbst hat ja im Übrigen auch eine gute Ausbildung. Einen Abschluss in Pharmazie.
     Damit kann sie hier ohne weiteres eine gutbezahlte Stelle finden, wenn sie erst richtig Englisch spricht. Bis es so weit ist,
     gibt er ihr Unterricht, und sie hält ihm das Haus in Ordnung und kümmert sich um ihn. Sie setzt sich ihm auf den Schoß und
     lässt ihn ihre Brüste streicheln. Sie sind glücklich miteinander.
    Habe ich richtig gehört? Sie hockt auf Papas Schoß und er fummelt an ihrem Botticelli-Busen herum?
    »Tja«, sage ich ganz ruhig, auch wenn ich innerlich vor Wut koche, »das Leben ist voller Überraschungen. Ich hoffe bloß, dass
     alles glatt geht. Aber schau, Papa« – jetzt wollen wir mal Klartext reden   –, »ich verstehe zwar, warum
du
sie heiraten willst. Aber hast du dich auch mal gefragt, warum
sie
dich heiraten will?«
    »
Tak, tak.«
(Ja, ja.) »Pass, Visum, Arbeitserlaubnis – fass soll’s?« Seine Stimme krächzt verdrießlich.
    Doch, er hat alles bedacht. Sie kümmert sich um ihn, wenn er älter und gebrechlicher wird. Er gibt ihr ein Dach überm Kopf
     und teilt seine kleine Rente mit ihr, bis sie ihren gutbezahlten Job findet. Ihr Sohn – der im Übrigen ein außerordentlich
     begabter Junge ist, ein Genie sozusagen, sogar Klavier spielen
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