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Die Landkarte der Zeit

Titel: Die Landkarte der Zeit
Autoren: Félix J. Palma
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|11| I
    Andrew Harrington wäre gern mehrere Tode gestorben, wenn er sich unter all den Pistolen, die sein Vater in den Vitrinen des
     Salons aufbewahrte, nicht für eine einzige hätte entscheiden müssen. Entscheidungen waren nicht seine Stärke. Genau besehen
     erwies sich sein Dasein als eine Kette von Fehlentscheidungen, deren letzte ihren langen Schatten bis in die Zukunft zu werfen
     drohte. Doch mit diesem wenig beispielhaften Leben voller Fehlgriffe war jetzt Schluss. Diesmal glaubte er, die richtige Wahl
     getroffen zu haben, denn er hatte sich entschieden, gar keine Wahl mehr zu treffen. In Zukunft würde es keine Irrtümer mehr
     geben, denn es würde keine Zukunft geben. Zumindest nicht für ihn. Er würde sie auslöschen, indem er sich eine dieser Waffen
     an die Schläfe setzte. Einen anderen Ausweg sah er nicht: Die Zukunft zu vernichten war die einzige Möglichkeit, um die Vergangenheit
     zu bannen.
    Er betrachtete den Inhalt der Vitrinen, jenen todbringenden Hausrat, den sein Vater liebevoll zusammengetragen hatte, seit
     er aus dem Krieg zurückgekommen war. Sein Erzeuger vergötterte diese Waffen, doch Andrew argwöhnte, dass er sie nicht aus
     nostalgischen Gründen sammelte, sondern weil ihn die verschiedenartigen Möglichkeiten fesselten, die der Mensch im Lauf der
     Jahre ersonnen hatte, |12| um sich inoffiziell aus dem Leben zu verabschieden. Mit einer Gleichgültigkeit, die im Gegensatz zu der Hingabe seines Vaters
     stand, ließ er den Blick über die scheinbar gefügigen, zum Teil harmlosem Küchengerät ähnlichen Gegenstände schweifen, die
     der Hand den Donner gaben und den Kriegen die unerfreuliche Nähe des Mann gegen Mann genommen hatten. Andrew versuchte sich
     vorzustellen, welche Art von Tod sich in jeder dieser Waffen verbarg. Welche hätte ihm wohl sein Vater empfohlen, um sich
     ein Loch in den Kopf zu schießen? Die Steinschlosspistole, überlegte er, eine dieser alten Vorderlader, die man für jeden
     Schuss mit dem Pulverhorn befüllen, mit einer hinterhergeschobenen Kugel bestücken und diese mit einem Papierpfropfen fixieren
     musste, würde ihm zwar einen stilvollen, aber auch langwierigen, zähen Tod bescheren. Da war jener durchschlagende Tod vorzuziehen,
     den die modernen, in Samt gefütterten Holzkästen schlummernden Revolver anzubieten hatten. Er betrachtete einen ebenso handlich
     wie leistungsfähig aussehenden Colt Single Action, verwarf ihn jedoch, als er daran dachte, dass dies die Waffe war, die er
     Buffalo Bill in dessen Wild-West-Zirkus hatte schwingen sehen; einem erbärmlichen Spektakel, in dem der Westmann, um seine
     überseeischen Heldentaten nachzuspielen, sich einer Handvoll mitgebrachter Indianer und eines Dutzends Büffel bediente, die
     sich bewegten, als hätte man ihnen Opium zu fressen gegeben. Andrew wollte seinen Tod ja nicht als Abenteuer verstanden wissen.
     Einen herrlichen Smith & Wesson – die Waffe, mit der der Bandit Jesse James getötet worden war, mit dem Andrew sich
     nicht vergleichen mochte – verwarf er daher ebenso wie einen Webley-Kipplaufrevolver, der hauptsächlich zu |13| dem Zweck ersonnen worden war, in den Kolonialkriegen widerspenstige Eingeborene auf Abstand zu halten, und der ihm außerdem
     viel zu schwer in der Hand lag. Danach nahm er einen niedlichen Pepperbox mit rotierenden Läufen in Augenschein, den Lieblingsrevolver
     seines Vaters. Er hegte jedoch ernsthafte Zweifel, ob diese affektierte Waffe eine Kugel mit der nötigen Überzeugungskraft
     abzuschießen vermochte. Schließlich entschied er sich für einen eleganten Colt von 1870 mit Griffschalen aus Perlmutt, der
     ihm das Lebenslicht mit der Zärtlichkeit einer liebenden Frau ausblasen würde.
    Mit einem kühlen Lächeln nahm er ihn aus der Vitrine und dachte dabei an all die Male, die sein Vater ihm verboten hatte,
     die Waffen anzurühren. Der erlauchte Sir William Harrington befand sich in diesem Augenblick jedoch in Italien, wo er vermutlich
     gerade den Trevibrunnen mit seinem abschätzigen Blick einschüchterte. Ein angenehmer Zufall war es ja, dass seine Eltern ihre
     Europareise just zu der Zeit unternahmen, die er für seinen Selbstmord vorgesehen hatte. Er bezweifelte allerdings, dass einer
     von beiden die Botschaft zu entziffern vermochte, die darin verschlüsselt lag – dass er es vorgezogen hatte, allein zu sterben,
     so wie er gelebt hatte   –, und gab sich mit der missbilligenden Miene zufrieden, die sein Vater zweifellos aufsetzen
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