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Kurze Geschichte des Traktors auf ukrainisch

Titel: Kurze Geschichte des Traktors auf ukrainisch
Autoren: Marina Lewycka
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wo sie mit ihren veterinärmedizinischen Kenntnissen sehr gefragt war, obwohl sie nur drei Jahre Ausbildung hinter
     sich hatte. Manchmal bekam sie Geld |347| dafür, aber häufiger bezahlte der Kolchosenvorsteher sie in Eiern, Weizen oder Gemüse. Einmal nähte sie einem Schwein, das
     von einer Kuh übel zugerichtet worden war, den Bauch mit schwarzem Knopflochgarn wieder zusammen, weil nirgends Operationszwirn
     aufzutreiben war. Die Sau überlebte, und als sie später elf Ferkel warf, bekam Mutter eines davon.
     
    Dann kamen Soldaten ins Dorf. Erst deutsche Soldaten, dann russische und dann wieder deutsche. Der Uhrmacher des Dorfes und
     seine Familie wurden eines Nachmittags in einem fensterlosen Lieferwagen abgeholt und tauchten nie wieder auf. Der ältesten
     Tochter, einem hübschen, ruhigen, etwa vierzehnjährigen Mädchen, war es gelungen fortzulaufen, als die Soldaten anrückten,
     und Baba Nadia nahm sie auf und versteckte sie im Hühnerhaus (der furchteinflößende Hahn war längst im Kochtopf gelandet und
     seine gespornten Füße zu köstlicher Suppe verarbeitet worden). Denn auch wenn Baba Nadia eine strenge Frau war, wusste sie
     doch Recht und Unrecht auseinander zu halten, und es war ein Unrecht, Leute in einem fensterlosen Lieferwagen abzuholen. Doch
     eines Nachts legte jemand Feuer ans Hühnerhaus – wer dieser Jemand war, kam nie heraus – und die Uhrmachertochter und die
     letzten beiden Hühner kamen in den Flammen um.
     
    Irgendwann einmal trieben die Stürme des Krieges auch den Vater des Kriegskindes wieder nach Hause. Eines sehr frühen Morgens,
     als es noch dunkel war, stand ein ausgemergelter Mann mit einer fürchterlich vereiterten Wunde an der Kehle vor der Tür. Baba
     Nadia schrie laut auf und flehte Gott um Gnade an. Großvater Majevski ging ins Dorf und bestach einen Mann, damit der ihm
     von den für die Soldaten bestimmten Medikamenten etwas abgab. Die |348| Mutter des kleinen Mädchens kochte Tücher aus, mit denen sie die Wunde säuberte. Sie saß Tag und Nacht an seinem Bett und
     schickte das Kriegskind zum Spielen mit Cousine Nadia hinaus. Von Zeit zu Zeit aber schlich es sich wieder ins Zimmer. Dann
     durfte es auf dem Bettrand sitzen, und der Vater drückte seine Hand, aber er sprach kein Wort. Nach einigen Wochen konnte
     er wieder aufstehen und im Haus herumgehen. Und dann verschwand er genau so geheimnisvoll, wie er gekommen war.
     
    Nicht lange, und es war auch für das Kriegskind und seine Mutter Zeit fortzugehen. Deutsche Soldaten kamen ins Dorf, holten
     alle Bewohner im arbeitsfähigen Alter zusammen und verfrachteten sie in einen Zug. Auch die Mutter des Kriegskindes nahmen
     sie mit. Das Kriegskind wollten sie zurücklassen, aber seine Mutter schrie so sehr, dass sie ihr schließlich erlaubten, das
     Kind mitzunehmen. Es war ein Güterwaggon ohne Sitzbänke. Alle saßen eng zusammengepfercht auf Strohballen oder direkt auf
     dem Fußboden. Die Fahrt dauerte neun Tage, und es gab nur trockenes Brot zu essen und ein wenig Wasser zu trinken und als
     Toilette nur einen einzigen Eimer in einer Ecke. Doch Aufregung und Spannung lagen in der Luft.
    »Wir fahren in ein Lager«, sagte die Mutter des Kriegskindes, »wo wir in Sicherheit sein werden. Dort werden wir arbeiten
     und gut zu essen bekommen. Und vielleicht ist ja auch dein Vater dort.«
     
    Das Kriegskind war sehr enttäuscht, als es feststellen musste, dass dieses Lager nicht so war, wie die Mutter ihm die Kosakenlager
     beschrieben hatte, mit im Kreis aufgebauten Zelten und an Pflöcken festgebundenen Pferden, sondern dass es nur ein Labyrinth
     aus Betonhäusern war mit hohen Stacheldrahtzäunen außen herum. Aber immerhin hatten |349| sie ein Bett, in dem sie schlafen konnten, und bekamen zu essen. Jeden Tag wurde die Mutter zusammen mit den anderen Frauen
     in einem Lastwagen zu einer Fabrik gebracht, wo sie zwölf Stunden lang Flugzeugmotoren zusammenbauen mussten. Das Kriegskind
     blieb mit den anderen Kindern, die alle viel älter waren, im Lager zurück, bei einem Wächter, der in einer fremden Sprache
     redete, die es nicht verstand. Stundenlang stand es am Zaun und wartete darauf, dass der Lastwagen mit seiner Mutter zurückkam.
     Abends war die Mutter jetzt immer viel zu müde, um noch Geschichten erzählen zu können. Eng an sie geschmiegt, lag das Kind
     im Dunkeln und lauschte ihren Atemzügen, bevor es selbst vom Schlaf übermannt wurde. Manchmal wachte es nachts auf und hörte
     die
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