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Kurz bevor dem Morgen graut

Kurz bevor dem Morgen graut

Titel: Kurz bevor dem Morgen graut
Autoren: Andreas Kimmelmann
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durch. Mit 17 lernte ich die Magd Leni kennen, ein dummes Ding, aber tüchtig. Mit 19 heiratete ich sie. Mit 25 gingen wir in die Stadt, fühlten uns dort aber nie wohl. Wir lebten ein zurückgezogenes Dasein und übten Gelegenheitsjobs aus.
    Warum ich in dieses Tal zurückkam und Leni mitnahm, weiß ich nicht. Wir waren beide über dreißig und hatten keine Perspektive im Leben. Vermutlich war die verstörende Beklemmung meiner Heimat das Letzte, an dem ich mich festhalten konnte. Der Danner war tot, hatte keine Erben hinterlassen und sein und das Welter-Anwesen standen leer. Nur der Hof meines Onkels war wieder bewohnt von einem versoffenen Kerl und seinem Sohn, den er schlimmer prügelte als mein Onkel mich. Wir nisteten uns im Welter-Hof ein. Wer wollte uns daran hindern? Er gehörte niemandem mehr und die Leute kannten mich von früher. Ich begann in die Schänke des jungen Turger zu gehen, begegnete ein paar Mal meinem Nachbarn und sagte ihm, er solle seinen Sohn besser behandeln. Als er frech wurde, schlug ich ihm die Zähne ein. Ich tat seinem Sohn damit nichts Gutes. Jedes Mal, wenn ich seinen Vater zurechtwies, schlug der den Jungen um so mehr. Leni meinte, ich solle den Nachbarn in Ruhe lassen, bevor er den Jungen totprügle. Ich antwortete, sie wisse gar nicht, was Prügel sind. Ich hielt es aber für eine gute Idee, sie die Erfahrung machen zu lassen. Mein alter Bettgefährte, der Baseballschläger, erschien mir geeignet dafür. Danach war sie endlich still. Ich vergrub sie im Garten neben der Welterin. Der Rotzbengel von nebenan beobachtete mich, aber das war mir egal. Ich warf ihm sogar den Schläger zu. Ich brauchte ihn nicht mehr, denn das Böse war für mich fassbarer denn je geworden. Ich hatte es selbst geschaffen.
    Ein paar Monate später erwischte mich der Nachbar. Ich war nicht vorbereitet und blieb fast besinnungslos hinter der Schänke liegen. Ich beschloss, ihm noch in dieser Nacht eine Lektion zu erteilen und nahm die Axt mit. Das kranke Arschloch hatte sein Dienstmädchen erschlagen in dieser Nacht, sie lag tot auf dem Küchenfußboden. Er folgte ihr binnen Sekunden, kaum dass ich sein Haus betreten hatte. Der Junge sah mich an wie ein Monster. Zu Recht. Ich hob die Axt. Schließlich wollte ich meinen Schläger wieder haben.
    Da hörte ich wieder ihr Lied und es war nicht der Wind. Noni stand hinter mir, sie war so schön wie früher und lächelte mich an. Sie sang für mich und kam auf mich zu, um mich zu lieben, wie sie mich früher geliebt hatte.
    Ich renne. Das Tal scheint mir endlos, verstörend und beklemmend zugleich. Das Gefühl meiner Kindheit übermannt mich, erschlägt mich. Die Axt habe ich weggeworfen, der Schläger liegt im Arm eines Jungen, dessen Namen ich nicht weiß. Ich habe keine Ahnung, wohin ich renne, aber der Wind singt ihr Lied. Er wird ewig für mich singen.

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