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Kurz bevor dem Morgen graut

Kurz bevor dem Morgen graut

Titel: Kurz bevor dem Morgen graut
Autoren: Andreas Kimmelmann
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immer tiefer hineinbohrt. Als Anja schließlich eine ruckartige schneidende Bewegung quer über seinen Bauch macht, schreit er. Dumpf, in das Klebeband. Wohl kaum zwanzig Meter weit zu hören.
    Befriedigt betrachtet Anja ihr Werk. Svens linke Brustwarze ist bis zur Unkenntlichkeit verstümmelt, Blut ergießt sich daraus über seine Brust und an seiner Achselhöhle hinab auf den Boden. Von der Brustwarze bis zum Bauchnabel zieht sich ein langer, klaffender Schnitt, der auch immer stärker zu bluten beginnt.
    „In die Brustwarze kneift dich jetzt wenigstens keine mehr“, bringt sie inmitten eines hysterischen Lachanfalls hervor.
    Sven spürt, wie eine Ohnmacht von ihm Besitz ergreifen will. Das Zittern ist kein Zittern mehr, sondern ein Schütteln, das durch seinen ganzen Körper geht.
    Er will sie um Gnade anflehen, aber er bringt nur ein Grunzen unter dem Klebeband hervor.
    „Außerdem sollten wir noch dafür sorgen, dass du den Schlampen nicht mehr so gut nachlaufen kannst“, ruft Anja fröhlich und hebt den Stein wieder mit der Spitze nach unten an.
    Das kann sie nicht tun, denkt Sven. Nicht das, was ich jetzt denke.
    Anjas rechte Hand saust mit dem Stein nach unten, die Spitze schlägt gleich einem Presslufthammer in seine linke Kniescheibe ein.
    Der Schmerz schießt wie ein Jagdbomber vom Knie aufwärts in Svens Kopf, wo er sich anfühlt, als brächte er selbigen zum Explodieren. Der Schrei, der nicht nach außen dringen kann, scheint in Svens Eingeweiden widerzuhallen wie in einer Echowand. Sein Körper zittert nicht mehr, er ist zum Zerreißen gespannt. Neben Svens Knie scheint jeder einzelne Knochen in seinem Leib allein durch die Anspannung jeden Moment zu zersplittern.
    „Das ist ja noch heil“, sagt Anja in einem Tonfall, in dem sie sonst bemerkt, dass der Akku von ihrem Handy leer ist.
    Sie hebt abermals den Stein, lässt ihn eine schreckliche Sekunde später wieder nach unten auf Svens Kniescheibe sausen. Sven spürt die Spitze in der Kniescheibe, irgendetwas darin zerbricht, die Spitze scheint sich durch ein Stück Knochen ihren Weg durch ein paar nunmehr zerfetzte Sehnen und Nerven zu bahnen. Sven spürt den Schmerz kaum noch, nur die Spannung, die ihn in der Mitte durchzureißen droht. Im Dämmerzustand fühlt er, wie sich seine Blase und sein Darm gleichzeitig in das seichte Meerwasser um ihn herum entleeren.
    „Das ist ja ekelhaft“, sagt Anja und verzieht das Gesicht zu einer angewiderten Fratze. Der plötzlich auftretende Gestank von Urin und Fäkalien lässt sie würgen.
    Etwas blasser beugt sie sich wieder über Svens Gesicht. Es scheint, um zehn Jahre gealtert zu sein, die durch den Schmerz und die Angst verursachte Überspannung der Gesichtshaut hat Risse auf seinen Wangen hinterlassen, die wie kleine Schwangerschaftsstreifen aussehen.
    „Keine Angst, ich bin gleich fertig“, sagt sie ruhig, als würde sie einem Kind vor dem Einschlafen vorlesen. „Bei der letzten Sache wirst du wahrscheinlich ohnmächtig werden. Danach nehme ich dir die Fesseln ab. Das wird dir allerdings nichts helfen, weil jeden Moment die Flut kommt. Diese kleine Höhle unter den Felsen verwandelt sich dann in ein nasses Grab. Es wird aussehen, als wärst du gestürzt, über ein paar Kanten geschrammt und dann von der Flut hier hinein getrieben worden. Ein tragischer Unfall.“
    Sie sieht ihn eine Weile fast verträumt an. Sein Körper ist so verkrampft, als wäre er in einem Eisblock eingefroren worden.
    „Ich werde dir jetzt das Klebeband abnehmen“, flüstert sie. „Aber du wirst keine Gelegenheit mehr haben, um zu schreien. Meine letzte Aktion sorgt nämlich dafür, dass du nicht mehr so gut flirten kannst.“
    Sie hebt den Stein mit der Rechten und setzt mit zwei Fingern der Linken an der Seite des Klebebandes an. Dann reißt sie es abrupt ab. Noch bevor Sven schreien kann, saust der Stein auf seinen Mund herab. Er fühlt seine Lippen platzen und seine Vorderzähne krachend in seinen Rachen fallen. Dann wird alles schwarz um ihn herum.

    Eine Woge des Schmerzes umfasst ihn, als er seine Augen langsam öffnet. Der Nebelschleier über selbigen lichtet sich nur langsam, die Schmerzen in seinem Mund, an seinem Oberkörper, seinem Knie und seinem Hinterkopf bringen ihn fast um. Er stirbt fast vor Erleichterung, als er in der Gestalt, die neben ihm kauert, einen Rettungssanitäter erkennt. Dieser ruft seinem Kollegen, der etwas weiter hinten steht, kurz etwas auf Spanisch zu, als er sieht, dass Sven wach
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