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Kurz bevor dem Morgen graut

Kurz bevor dem Morgen graut

Titel: Kurz bevor dem Morgen graut
Autoren: Andreas Kimmelmann
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wirklich ernst gewesen. Er hatte einen wunderbaren ersten Abend mit Anja verbracht, sie hatten sich amüsiert, gut gegessen, sich im Hotelzimmer lange und intensiv geliebt und waren schließlich eng umschlungen eingeschlafen. Aber dann war er aufgewacht, weil seine Blase zum Bersten voll gewesen war. Zuviel Rotwein. Er hatte sich im Badezimmer erleichtert und wollte eigentlich wieder zu Anja ins Bett kriechen. Aber die spanische Tanzmusik hatte ihn wahnsinnig gemacht und er war noch einmal nach unten gegangen.
    Susanne hatte sie geheißen, dunkles, fast schwarzes Haar, das bis zum Schulteransatz ging, verführerische hellblaue, beinahe türkise Augen und einen Schmollmund, der einfach geküsst werden wollte. Er hatte sich gar nicht anstrengen müssen, sie hatte ihn angemacht. Zwar tat er sich nie sonderlich schwer bei Frauen, aber so leicht war es noch nie gewesen. Eins hatte zum anderen geführt, schließlich waren sie mit einer Flasche Rotwein bei diesen Felsen angekommen und hatten sich betrunken und ein bisschen rumgemacht. Ab da war seine Erinnerung nur noch ein dunkles Loch.
    Liegt er nun unter diesen Felsen, auf denen er vorhin noch mit Susanne gefeiert hat? Wie lange ist das her? Ein paar Minuten? Ein paar Stunden?
    „Der Abend hat ein abruptes Ende gefunden, was Sven?“, meint Anja. Sie lächelt nun nicht mehr. Ihr Gesicht ist völlig ausdruckslos. Jedes ihrer Worte hämmert wie ein Stromschlag in Svens Ohrmuscheln.
    „Wo ist ...“, bringt er krächzend hervor.
    „Dein Partyhäschen? Tot.“
    Svens Augen flimmern, er zittert, jedoch nicht vor Kälte. Er versucht wahrzunehmen, was sie gerade gesagt hat. Susanne tot? War das möglich?
    „Wie ...“, keucht er mit weit aufgerissenen Augen.
    „Ich bin euch gefolgt, hab gesehen, wie ihr stockbesoffen rumgeknutscht habt. Dir hab ich einen ordentlichen Schlag auf den Hinterkopf verpasst, bevor ihr mich kommen sehen habt.“
    Sie hebt einen großen, spitzen Gesteinsbrocken in die Höhe. An der Spitze klebt Blut. Viel Blut. Sein eigenes?
    „Die blöde Ziege hat gleich losgekreischt“, fährt sie ungerührt fort. „Aber ein kleiner Hieb mit dem Ding hier gegen ihre Stirn hat sie zum Schweigen gebracht. Der Rest war einfach. Ich sag nur so viel: Sie hat noch ein paar Schläge mehr damit auf den Kopf bekommen. Sieht nicht mehr so hübsch aus.“
    Sven kann nicht mehr sprechen. Das Zittern wird stärker, er kann sich vor Angst und Entsetzen nicht einmal mehr zur Seite rollen.
    „Treibt irgendwo da hinten“, führt Anja ihren Bericht gnadenlos weiter. „Wahrscheinlich wird man denken, ihr seid von den Felsen gestürzt. Ich werde ein bisschen heulende Witwe spielen, werde die Überraschte spielen, wenn mir die Polizei sagt, dass ihr wohl mit eindeutigen Absichten hierher gekommen seid und in den nächsten Urlauben kann ich mich dann ein bisschen vergnügen. Du hattest also recht. In diesem Sommer wird alles anders.“
    Hat er wirklich richtig gehört? Hat sie Witwe gesagt?
    „Du willst ... du willst mich umbringen?“, bringt er unter Qualen hervor.
    „Schnellmerker, was? Dass ich deine kleine Freundin um die Ecke gebracht habe, scheinst du schneller verarbeitet zu haben. Weißt du überhaupt noch ihren Namen?“
    „Susanne“, sagt er mit bebender Stimme. Tränen laufen über sein blutverschmiertes Gesicht. Ist es sein Blut? Ihr Blut?
    „Mann, das Miststück scheint dir ja wirklich nahe zu gehen“, grummelt Anja mit fast nachdenklichem Blick. „Aber keine Angst. Lang dauert es bei dir auch nicht mehr. Länger allerdings als bei ihr. Ich will schon auch noch was davon haben.“
    „Was ist nur mit dir passiert?“ Er fasst es kaum, dass er den Satz im Ganzen herausgebracht hat. Sein Gehirn beginnt wieder, in einen Dämmerzustand zu verfallen.
    „Was mit mir passiert ist?“, fragt sie fassungslos. „Du bist doch der Hurenbock, der jeder Schlampe mit Rock nachrennt und sie flachlegt. Soll ich mir das ewig ansehen? Ich hab die Schnauze voll, mein Schatz. Ich mach Schluss, auf meine Weise.“
    Plötzlich wedelt sie ihm mit einem Klebeband vor dem Gesicht herum, bevor sie ein Stück davon abreißt.
    „Das wirst du brauchen“, meint sie. „Damit du mir nicht die ganze Insel zusammenschreist.“
    Sie drückt ihm das Klebeband unsanft auf den Mund und zieht es fest.
    „Zunächst einmal sollst du merken, wie sich ‚Herzschmerz’ anfühlt“, kichert sie und setzt die Spitze des Steines direkt auf seine linke Brustwarze.
    Sven stöhnt, als sich die Spitze
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