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Kunst des Feldspiels

Kunst des Feldspiels

Titel: Kunst des Feldspiels
Autoren: C Harbach
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    –
    Während des Spiels fiel Schwartz der Junge nicht auf.
Beziehungsweise fiel ihm nur auf, was allen anderen auch auffiel – dass er der
kleinste Spieler auf dem Feld war, ein dürrer Sonderling von einem Shortstop,
schnell, aber schwach am Schläger. Erst als das Spiel vorbei war und der Junge
auf das sonnenverbrannte Spielfeld zurückkehrte, um noch ein paar Aufsetzer zu
üben, bemerkte Schwartz die Anmut, die in jeder von Henrys Bewegungen lag.
    Es war der zweite Sonntag im August, kurz vor Schwartz’ zweitem Jahr
am Westish College, jener kleinen Universität in der Daumenfalte des
Baseballhandschuhs namens Wisconsin. Den Sommer hatte er in seiner Heimatstadt
Chicago verbracht, und sein American-Legion-Team hatte im Halbfinale eines
völlig unbedeutenden Turniers gerade einen Haufen Bauernlümmel aus South Dakota
geschlagen. Die paar Dutzend Zuschauer auf den Rängen beklatschten milde das
letzte Out. Schwartz, der seit dem Morgen durch Hitzekrämpfe geschwächt wurde,
warf die Fängermaske zur Seite und riskierte ein paar wackelige Schritte in
Richtung der Spielerbank. Benommen gab er auf, sank in den Staub und lehnte
sich an den Maschendrahtzaun, um seinen breiten, schmerzenden Rücken zu
entspannen. Theoretisch war es bereits Abend, aber die Sonne knallte noch immer
wie verrückt vom Himmel. Fünf Spiele hatte er seit Freitagabend gemacht und
sich dabei in seiner schwarzen Fängermontur rösten lassen wie ein Käfer.
    Seine Teamkollegen
schleuderten ihre Handschuhe in Richtung Bank und machten sich auf zum
Bierstand. In einer halben Stunde begann das Finale. Schwartz hasste es, der
Schwächste zu sein, derjenige, der immer kurz vor der Ohnmacht stand, aber er
konnte es nicht ändern. Er hatte sich den ganzen Sommer über völlig verausgabt
– jeden Morgen Gewichte gestemmt, Zehn-Stunden-Schichten in der Gießerei, jeden
Abend Baseball. Und dann dieses Höllenwetter. Er hätte das Turnier ausfallen
lassen sollen – morgen in aller Herrgottsfrühe fand am Westish eine ungleich wichtigere
Angelegenheit statt: das Football-Auswahltraining, selbstmörderische Sprints in
kurzen Hosen und Schutzpolstern. Eigentlich hätte er jetzt schlafen sollen,
seine Knie schonen, aber seine Teamkollegen hatten ihn angefleht zu bleiben.
Und jetzt saß er auf diesem maroden Sportplatz fest, zwischen einem
Autofriedhof und einem Erotikladen an der Interstate außerhalb von Peoria. Wenn
er schlau wäre, würde er das Finale sausen lassen, die fünf Stunden nach Norden
zurück zum Campus fahren, sich in der Krankenstation eine Infusion verpassen
lassen und schlafen gehen. Der Gedanke an Westish beruhigte ihn. Er schloss die
Augen und versuchte seine Kräfte zu sammeln.
    Als er sie wieder
öffnete, trabte der Shortstop aus South Dakota zurück aufs Feld. Als der Junge
den Wurfhügel passierte, zog er sein Trikot über den Kopf und schmiss es zur
Seite. Er trug ein ärmelloses weißes Unterhemd, hatte eine unfassbare
Trichterbrust und einen verbrannten Teint wie ein Farmer. Seine Arme hatten den
Umfang von Schwartz’ Daumen. Er tauschte seine grüne American-Legion-Kappe
gegen eine verblichene der St. Louis Cardinals. Darunter schauten
struppige, staubblonde Locken hervor. Er sah aus wie vierzehn, höchstens
fünfzehn, auch wenn das Mindestalter des Turniers bei siebzehn lag.
    Im Laufe des Spiels
hatte Schwartz begriffen, dass der Junge zu schmächtig war, um den Ball auf
eine vernünftige Flughöhe zu befördern, also hatte er einen Fastball nach dem
anderen angezeigt, knapp über die Strike Zone und nah am Mann. Vor dem letzten
hatte er dem Jungen gesagt, was kommen würde, und hinzugefügt: »Weil du ihn ja
eh nicht erwischst.« Der Junge holte aus, verfehlte den Ball und machte sich
zähneknirschend auf den langen Weg zurück zur Spielerbank. Just in dem Moment
sagte Schwartz – aber derart sanft, dass es ebenso gut aus dem Gehirn des
Jungen selbst hätte entwichen sein können –: »Muschi« .
Der Junge hielt inne, seine knochigen Schultern spannten sich wie die einer
Katze, aber er drehte sich nicht um. Das tat nie jemand.
    Als der Junge jetzt die
staubige Kuhle erreichte, die die Position des Shortstop markierte, blieb er
stehen, wippte auf den Zehen vor und zurück und schlackerte mit den Gliedmaßen,
als müsste er sich auflockern. Er schaukelte und schlenkerte, ließ die Arme
kreisen, verpulverte Energie, die er eigentlich gar nicht haben sollte. Er
hatte genauso viele Spiele in dieser Bruthitze absolviert wie
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