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Kunst des Feldspiels

Kunst des Feldspiels

Titel: Kunst des Feldspiels
Autoren: C Harbach
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Schwartz.
    Wenig später spazierte
der Coach aus South Dakota aufs Spielfeld, einen Schläger in der einen Hand,
einen Zwanzig-Liter-Farbeimer in der anderen. Er stellte den Eimer bei der Home
Plate ab und fuhr träge mit dem Schläger durch die Luft. Ein weiterer Spieler
aus South Dakota, in der Hand einen identischen Eimer, stapfte gähnend hinaus
zur First Base. Der Coach griff in den Eimer, pflückte einen Ball heraus und
zeigte ihn dem Shortstop, der nickte und in die Hocke ging, die Hände
unmittelbar über der Erde in Bereitschaft.
    Der Junge glitt in den
ersten Aufsetzer hinein, nahm den Ball mit nachlässiger Anmut in seinem
Handschuh auf, drehte sich und warf zur First Base. Obwohl die Bewegung
schleppend war, schien der Ball von seinen Fingerspitzen weg zu detonieren und
immer schneller zu werden, während er das Spielfeld durchquerte. Mit dem
Geräusch einer abgefeuerten Pistole knallte er in den Handschuh des First
Baseman. Der Coach schlug einen weiteren Ball, etwas härter diesmal: dieselbe
leichte Anmut, dasselbe schussartige Echo. Fasziniert setzte Schwartz sich ein
wenig auf. Der First Baseman fing jeden Ball auf Brustbeinhöhe, musste nicht einmal
seinen Handschuh bewegen und ließ die Bälle in den Plastikeimer zu seinen Füßen
fallen.
    Der Coach schlug
weitere, jetzt noch härtere Bälle in Richtung Second Base oder in die Lücke
zwischen den Fängerpositionen. Der Junge fing sie alle. Einige Male war
Schwartz sich sicher, er würde hineinrutschen oder zum Hechtsprung ansetzen
müssen oder einen Ball schlichtweg nicht erreichen, aber er erreichte jeden
einzelnen mit Leichtigkeit. Dabei schien er sich nicht schneller zu bewegen als
jeder andere anständige Shortstop, und doch war er sofort da, unfehlbar, so als
wüsste er vorher, wohin der Ball fliegen würde. Oder als würde nur für ihn
allein die Zeit langsamer vergehen.
    Nach jedem Ballkontakt
ging er zurück in seine katzenartige Hocke, die Fingerspitzen seines kleinen
Handschuhs scharrten in der sonnenverbrannten Erde. Einen langsamen Roller nahm
er mit der bloßen Hand auf, feuerte ihn zur First Base und schaltete damit
einen Läufer auf halber Strecke aus. Er sprang hoch, um sich einen
pfeilgeraden, wenn auch nicht sonderlich scharf geschlagenen Ball zu schnappen.
Der Schweiß lief ihm die Wangen hinab, während er die Luft zerteilte, die dick
wie Suppe war. Selbst bei Höchstgeschwindigkeit sah er uninteressiert, beinahe
gelangweilt aus, wie ein Virtuose, der Tonleitern übt. Er wog maximal sechzig
Kilo. Wo der Junge mit den Gedanken war – ob er sich hinter dem leeren
Gesichtsausdruck überhaupt irgendwelche Gedanken machte –, konnte Schwartz
nicht sagen. Ihm fiel eine Zeile aus dem Lyrikkurs bei Professor Eglantine ein: ausdruckslos und dennoch Gott im Antlitz .
    Dann war der Eimer des
Coachs leer und der des First Baseman voll, und die drei Männer verließen
wortlos das Spielfeld. Schwartz fühlte sich bestohlen. Er wollte, dass die
Vorstellung weiterging. Er wollte zurückspulen und alles noch einmal in
Zeitlupe ansehen. Er schaute sich um, wollte wissen, wer es noch gesehen hatte,
wollte zumindest in den Genuss kommen, mit einem anderen hingerissenen Zeugen
einen Blick zu wechseln, aber niemand hatte sich dafür interessiert. Die paar
Fans, die nicht auf der Suche nach Bier oder Schatten waren, stierten untätig
auf die Displays ihrer Handys. Die anderen Verlierer aus der Mannschaft des
Jungen waren bereits auf dem Parkplatz und knallten ihre Kofferräume zu.
    Noch eine Viertelstunde
bis Spielbeginn. Schwartz, noch immer benommen, zog sich hoch. Er würde mehr
als zwei Liter Gatorade brauchen, um durchs Finale zu kommen, dann einen Kaffee
und eine Dose Kautabak für die lange Nachtfahrt. Aber zuerst ging er hinüber zu
dem Unterstand auf der anderen Seite, wo der Junge gerade seine Sachen
zusammenpackte. Auf dem Weg hatte er sich zurechtgelegt, was er sagen wollte.
Sein ganzes Leben lang hatte Schwartz sich danach gesehnt, irgendein
übernatürliches Talent zu besitzen, eine einmalige Form von Brillanz, die die
ganze Welt genial nennen würde. Jetzt wo er ein solches Talent aus der Nähe
gesehen hatte, würde er es sicher nicht so einfach ziehen lassen.

2
    –
    Henry Skrimshander stand unter einem sich bauschenden
blau-weißen Zelt in der Schlange und wartete auf seine Zimmerzuteilung. Es war
die letzte Augustwoche, keine drei Wochen nachdem er Mike Schwartz in Peoria
begegnet war. Er hatte die ganze Nacht über im Bus von
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