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Kreuzberg

Kreuzberg

Titel: Kreuzberg
Autoren: Oliver G. Wachlin
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boy ,
also verpiss dich in die Wüste.
    Schade,
dass es keinen Whisky mehr gibt. Ich könnte noch einen gebrauchen. Man kann
sich mit Single Malt wunderbar in ganz andere Sphären trinken, Welten voller
Anmut und Tiefe, die sich nur im Triumph des Rauschs erobern lassen, in jenen
schönen Momenten geistiger Unschärfe, die die Konturen verschwimmen und die
Klarheit dahinter umso deutlicher hervortreten lassen.
    Denn
verbirgt sich hinter der Aufzucht eines Kindes nicht auch eine ungeheure Chance
für einen Mann, der sich seit Jahren durch den Dschungel der Midlife-Crisis
kämpft? Ich wollte doch immer einen Neuanfang. Wie hab ich gehadert mit den
Zwängen meines Seins, mit diesem festgefahrenen Leben. Wie eine Zeitschleife,
in der jeder Tag dem anderen gleicht.
    Ich träumte
vom Ausbruch, wollte neue Herausforderungen, also nur zu: Nimm dich der Sache
an! Erziehe dein Kind! Sorge dafür, dass es später nicht zu jenen Arschlöchern
gehört, mit denen wir heute tagtäglich zu tun haben! Bring dich ein! Es ist
genau diese Wendung, die dein sinnentleertes Leben so dringend braucht, und
deshalb rufe es laut und ehrlich aus: Ja, ich will das Kind! Ich nehme die
Herausforderung an. Ich freue mich darauf, verdammt noch mal. »Ich! Freue!
Mich!«
    »Wie schön
für dich«, knurrt Hünerbein am anderen Ende der Leitung, und jetzt erst merke
ich, dass mir längst der Hörer ans Ohr gehalten wird.
    Arbeit,
denke ich, Mist, es gibt Arbeit, sonst würde der Kollege kaum mitten in der
Nacht hier anrufen. Irgendwo da draußen wurde ein Mensch ermordet. Und wir
müssen die Sache aufklären.
    »Wo?«,
frage ich, und meine Stimme klingt wie das letzte Krächzen eines Sterbenden.
    »Kreuzberg,
Viktoriapark«, antwortet Hünerbein knapp. »Nimm ’ne kalte Dusche, ich hol dich
in zwanzig Minuten ab.«
    Klar.
Mühsam hebe ich meinen Arm und starre auf die zwei Armbanduhren an meinem
Handgelenk. Oder ist es doch nur eine? Mit zwei Zifferblättern und vier
Zeigern? Ich kneife ein Auge zu, die Zifferblätter schieben sich zusammen. Zeit
wird erkennbar. Halb zwei in der Früh, du lieber Gott! Wer findet um diese Zeit
einen Toten?
    Erschöpft
lasse ich den Arm wieder sinken und starre auf den Kronleuchter an der Decke.
Ein furchtbares Teil.
    »Wir
sollten ihn schleunigst abnehmen«, sage ich laut. »Bevor unser Neugeborenes
diesen Kitsch als Licht der Welt erblickt.«
    Monika
stellt mir einen Kaffee hin – starken löslichen Mokka, damit ich zügig auf
die Beine komme – und klatscht mir einen mit Eiswürfeln gefüllten Waschlappen
auf die Stirn. Dann hilft sie mir aufs Sofa. Mit eigenartig weichem Blick sieht
sie mich an.
    »Wir
schaffen das schon. Meinst du nicht?«
    Hoffnung
ist immer gut, denke ich und nippe am Mokka. Verdammt heiß, das Zeug, ganz
anders als die Eiswürfel am Kopf. Das Leben ist ein einziger schwer zu
ertragender Kontrast.
    Wenig
später klingelt es an der Tür. Der dicke Hünerbein ist da.
    »Sardsch,
du siehst furchtbar aus.«
    Ich fühle
mich auch so. Aber deswegen krankmachen? Als Vater kann ich auch nicht einfach
kneifen.
    »Du wirst
Vater?«
    Ich muss es
wohl laut gesagt haben, denn Hünerbein starrt erst mich, dann Monika an.
    »Etwa von
dir?« Er fängt an zu strahlen. »Mensch, das ist ja ’n Ding! Das muss gefeiert
werden!«
    »Dieter hat
schon gefeiert.« Monika gähnt müde. »Siehste ja.«
    »Großartig«,
findet das Hünerbein, »für Nachwuchs ist es nie zu spät. Und Melanie freut sich
sicher auch, dass sie ein kleines Brüderchen bekommt. Oder wird es ein
Schwesterchen?«
    »Wissen wir
noch nicht.« Monika gähnt noch mehr. »Ich bin erst in der zehnten Woche.«
    »Ist ja
auch egal«, winkt Hünerbein ab. »Hauptsache, das Kind ist gesund! Jetzt musst
du dich schonen, was? Mensch, wie ich mich für euch beide freue!« Und schon hat
er Monika in seine fetten Arme geschlossen.
    Wir müssen,
denke ich und erhebe mich zackig vom Sofa, da wird mir auch schon schwarz vor
Augen. Als ich wieder zu mir komme, liege ich erneut auf dem Parkett und sehe
in besorgte Gesichter.
    »Der
Kreislauf«, vermutet Monika.
    »Quatsch!
Der Suff.« Hünerbein hilft mir schnaufend auf die Beine. »Geht’s wieder?«
    Muss wohl.
Ich nicke Monika aufmunternd zu und lasse mich dann von meinem Kollegen
gestützt die Treppe hinunterbringen.

4    IM AUTO VERSPÜRE
ICH plötzlich einen
ungeheuren Appetit. Auf einen dicken Hamburger oder einen Döner. Currywurst
wäre auch okay. Rot-Weiß, viel Ketchup und Mayo. Früher konnte
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