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Die Chronik von Tornor 03 - Die Frau aus dem Norden

Titel: Die Chronik von Tornor 03 - Die Frau aus dem Norden
Autoren: Elizabeth A. Lynn
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1. Kapitel
     
    Ich hasse dich, dachte Sorren und meinte das Meer.
    Die salzgeschwängerte Sommerluft machte sie müde. Der Geldreif, den Arré ihr für die Einkäufe gegeben hatte, hatte auf ihrem Arm eine rote Drucklinie hinterlassen. Hinter ihr stieg vom Dock der Fischgestank wie übler Dunst empor. Segel tanzten in der Bucht. Ein leerer Karren polterte hinter einem erschöpften grauen Maultier an ihr vorüber. Flundern, mahnte sie sich. Vier Tage lang Flundern.
    Sie wanderte über den Markt, an Hökern und Läden und Ständen vorbei, auf den altvertrauten Hügelhang zu. In ihrem Rücken blinkte der Ozean, das Meer, bronzefarben wie ein Teller. Die Straßen über dem Katzenkopfpflaster waren heiß, aber Sorren verspürte die Hitze kaum durch die dicke Hornhaut ihrer Sohlen. Als sie endlich auf dem Hügelkamm angelangt war, ging sie nur noch schleppend, und das Baumwollhemd klebte ihr am Rücken und an den Brüsten.
    Am Med-Tor blieb sie stehen und schaute über die große Stadt hinweg. In ihrem Zentrum leuchtete die rote Kuppel des Tanjo. Im Süden siedete und glitzerte das Meer mit den gelben Segeln der Fischerboote als verstreuten Farbtupfern. Im Osten und Westen der Stadt erstreckten sich die Baumwollfelder. Die Pflücker mit ihren großen Säcken über der Schulter konnte sie nicht sehen, doch sie wußte, sie waren in den Feldern. Im Norden lagen die Weingärten, von denen sie selber vor sieben Jahren gekommen war. Nur zweimal war sie dorthin zurückgekehrt, zu Besuch: das erstemal, um ihre neuen Kleider vorzuführen, das zweitemal zur Beerdigung ihrer Mutter. Sie war zu spät gekommen und sagte also ihre Abschiedsworte über dem bereits geschlossenen Grab. Und sie hatte versucht, sich deutlich an das Aussehen ihrer Mutter zu erinnern. Das war nun schon vier Jahre her. Wenn sie sich jetzt zu erinnern versuchte, gelang es ihr nicht einmal, die Gesichtszüge der Mutter heraufzubeschwören.
    Das wuchtige blaue Gebäude im Westen, nahe dem Flußufer, war die Halle des Blauen Clans. An der Vorderfront wehten blaue Wimpel, und von Werkstätten, Verkaufsständen und Karren hingen kleine blaue Fähnchen, zum Zeichen, daß deren Besitzer Angehörige der Gilde und von gutem Ruf seien. Auch die Karren, auf denen Wein in Fässern aus den Weingärten der Med-Familie in die Stadt gefahren wurden, trugen blaue Bänder. Jenseits der Weinfelder lag das Galbareth mit seinen Feldern, auf denen das Korn wuchs; und hinter dem Kornland lag die Steppe – und die Berge. Sorren schloß für einen Augenblick die Augen, und in ihrem Geist begannen sie aufzuragen: hart, grau und unzerstörbar ... genauso wuchteten sie zuweilen in ihren Träumen in den Himmel.
    Aber Berge gab es in der Umgebung von Kendra-im-Delta keine. Sorren öffnete die Augen wieder. Die Steine, aus denen der Tanjo gebaut worden war, stammten aus den Roten Bergen. Man hatte sie durch Shanan und das Asechland geschleppt, eine endlos weite Strecke, viele Tagereisen weit.
    Sie wandte sich dem Tor zu. Der Torwächter blickte ihr aufmerksam von seinem Posten unter dem Schatten des Kavafruchtbaumes entgegen.
    »Guten Tag«, sagte Sorren.
    Er knurrte. Sein dunkelrotes Hemd war fast schwarz von Schweiß. Er hatte seinen Speer auf die Steine gelegt. Sorren dachte daran, was wohl Paxe sagen würde, wenn sie plötzlich vom Waffenhof kommen sollte und ihren Posten da so ohne seine Waffen vorfinden sollte.
    »Heiß ist's«, sagte sie.
    »Ja«, brummte der Wächter.
    Grüne Schalen der Kavafrucht lagen im Rinnstein, wie Fetzen grünen Stoffs sah das aus. Alle Posten stahlen sich Kava, wenn sie am Tor Dienst hatten, doch dieser Posten da – er war jung und hatte einen dünnen semmelblonden Lippenbart – hatte anscheinend noch nicht gelernt, die Schalen außer Sichtweite zu bringen. Und er machte auch keine Anstalten, ihr das Tor zu öffnen. Sie streckte die Hand aus, um es selbst zu tun, und er schien sich zu besinnen und langte ebenfalls zu und berührte dabei ihre Finger. Die seinen waren klebrig.
    Sie trat durch das eiserne Tor. »Ich danke dir«, sagte sie.
    Wieder gab er nur ein Grunzen von sich. Die Wachtposten waren sich nie so recht sicher, wie sie sie behandeln sollten. Sie war zwar eine Leibeigene, eine Dienersklavin, doch Arré behandelte sie die meiste Zeit, als wäre sie ihre leibliche Tochter ... Und außerdem war da ja Paxe.
    Das Tor fiel zu. Sie ging langsam über den Innenhof. Zu beiden Seiten des Weges standen Blumen mit in der Hitze hängenden Köpfen. Wie
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