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Kreuzberg

Kreuzberg

Titel: Kreuzberg
Autoren: Oliver G. Wachlin
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irgendeiner Abkühlung, die nicht nach
Wodka schmeckte. Doch der General a. D. hielt ihn zurück.
    »Ihre Leute
sitzen an den richtigen Stellen«, raunte er eindringlich. »Wissen Sie, ich habe
die Arbeit des M f S immer sehr geschätzt. Sie waren effektiver als der KGB ,
cleverer als der Mossad und skrupelloser als die CIA . Ihr wart die Besten!«
    »Leider
wurden wir abgewickelt«, entgegnete Meyer vor Hitze keuchend, »und die DDR ist ebenfalls Geschichte.«
    »Aber Ihre
Genossen sind fast alle noch da. Gut ausgebildete Leute. Die müssen nur
aktiviert werden.«
    »Das geht
nicht auf Knopfdruck.« Meyer winkte ab. »Die Befehlsketten sind unterbrochen,
unsere Führungsstrukturen irreparabel zerstört.« Wieder wischte er sich den
Schweiß von der Stirn.
    »Wir
unterstellen Ihre Genossen dem KGB .«
    Ja, dachte
Meyer, so war das mal vorgesehen. Die sogenannte GAU -Planung. Bei einem
Zusammenbruch der DDR sollten die aktiven Kader
der Geheimdienste vom KGB übernommen werden. Das
Ministerium für Staatssicherheit war ohnehin immer von den Sowjets kontrolliert
worden, jede größere Aktion der Hauptabteilung Aufklärung musste mit Moskau
koordiniert werden. Möglicherweise würden sich so einige Schläfer wecken
lassen. Aber wer von denen war noch loyal? Und wer hatte sich inzwischen mit
den geänderten Verhältnissen arrangiert? Da gab es doch bestimmt einige, die
von ihrer früheren Tätigkeit fürs M f S nichts mehr wissen wollten, die fett
geworden waren im Speck ihrer gemütlichen Gremien, oder, wie Deckname Cordula,
zum Klassenfeind übergelaufen waren.
    »Ich werde
mir erst eine zuverlässige Truppe aufbauen müssen«, sagte er nach einer Weile,
»die unsere alten Netzwerke auf Abtrünnige filtert. Da gab es sicher einige
Absetzbewegungen. Wir werden jeden einzelnen unserer Kameraden genau überprüfen
müssen.«
    »Wie lange
werden Sie dafür brauchen?«
    Meyer
schwitzte. Zuletzt war er für die Finanzen zuständig gewesen, seine Aufgabe war
es, die Devisenreserven des M f S vor der Abwicklung diskret in Sicherheit
zu bringen. Mit der Auslandsaufklärung hatte er nur sekundär zu tun. Allerdings
gab es auch Akten, die er beiseitegeschafft hatte, ganze Datensätze der HVA ,
die seine Überlebensversicherung waren. Und der KGB musste das irgendwie
mitbekommen haben. Deshalb hatten sie ihn hierher bestellt. Ich brauche Zeit,
überlegte Meyer, ich muss ihn irgendwie hinhalten.
    »Lange«, sagte
er schließlich, »vielleicht zu lange.«
    »Sie haben
achtundvierzig Stunden«, erklärte der General. »Nicht mehr.«
    »Das ist
absurd«, protestierte Meyer, »ich bin immer noch Gefangener der BRD ! Ein Freigänger, ich werde
beobachtet und kann mich nicht frei im Land bewegen. Mir sind praktisch die
Hände gebunden.«
    »Umso
besser«, erwiderte Njasow, »niemand wird ahnen, dass Sie weiter für uns
arbeiten.« Er grinste breit. »Eine Gefängniszelle in Tegel als Stützpunkt des KGB  –
ja, das gefällt mir.« Er legte seine Pranken auf Meyers Schultern und
wiederholte: »Das gefällt mir sehr gut. Was denken Sie, wie Ihre alten Genossen
da draußen aus ihrer Erstarrung aufschrecken, wenn sie merken, dass es das M f S noch gibt. Dass es ihnen sogar noch aus den Gefängnissen des Klassenfeindes
Anweisungen schickt.«
    Das große
geheime Ding, dachte Meyer, es lebt! Tolle Psychologie, passt zu den Russen.
Und könnte sogar funktionieren. Doch was ist, wenn sich wer nicht mehr an den
alten Eid gebunden fühlt? Wenn einer der alten Genossen nicht mehr mitmachen
will? Es musste sich nur einer der Kameraden aus der Deckung wagen und die
zuständigen Abwehrdienste der Bundesrepublik informieren, dann wäre Meyer dran.
Dann käme er ewig nicht mehr aus dem Knast heraus. An ihm würden sie sich schadlos
halten.
    »Ich habe
hier eine Liste von Adressen«, sagte der General, »die arbeiten Sie ab. Einige
von denen kennen Sie persönlich, andere nicht.« Er schob Meyer zur Tür. »Nutzen
Sie Ihren freien Tag, um die Adressen auswendig zu lernen. Dann vernichten Sie
die Liste. Der Kontakt läuft über Ihren Anwalt. Die Überprüfung vor Ort leisten
wir. Ich wünsche Ihnen einen schönen Tag.«
    Schwitzend
stand Meyer wenig später wieder auf der Behrenstraße. Er brauchte dringend eine
Dusche und frische, leichte Kleidung. Zuvor musste er unverzüglich Deckname
Cordula über das Gespräch mit Njasow informieren. Da hatte sie ganz recht,
zweigleisig fahren war die einzige Chance. Beiden Seiten Futter liefern und
abwarten, wie
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