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Kreuzberg

Kreuzberg

Titel: Kreuzberg
Autoren: Oliver G. Wachlin
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Ausland die Schlagzeilen: In Jugoslawien verschärfte sich der
Bürgerkrieg. Kroaten und Serben gingen immer brutaler mit Waffen aufeinander
los. Wahnsinn! Und in Laos hatte das Parlament den früheren Generalsekretär der
Kommunistischen Partei Kaysone Phomvihane zum neuen Staatspräsidenten gewählt
und gleichzeitig die Verfassung von 1975 geändert. Staatsziel sei nun nicht
mehr der Sozialismus.
    Abwarten,
dachte Meyer.
    Nach alter
Gewohnheit sah er sich um. Es war nicht unwahrscheinlich, dass er beobachtet
wurde. Der Kerl dahinten zum Beispiel, im unauffällig hellgrauen Sommeranzug,
war der nicht seit der Hardenbergstraße hinter ihm her? Dennoch versuchte Meyer
nicht, ihn abzuschütteln, als er in die haltende Bahn stieg. Deckname Cordula
wusste ohnehin, was er vorhatte. Sollten ihr die Observateure ruhig berichten,
dass er die Sache durchzog.
    In den überfüllten
Waggons war die Luft feucht und stickig. Touristen drängten sich mit
Stadtplänen, irgendwo klampften ein paar Straßenmusiker für ein Huthonorar
Claptons »Cocaine«. Als sie den Song beendeten, hielt der Zug am Bahnhof
Friedrichstraße, und Meyer stieg vollkommen durchgeschwitzt aus.
    Er nahm den
Weg hinter dem Hotel Metropol über den Parkplatz an der US -Botschaft
und die Schadowstraße zur Straße Unter den Linden. Die Sowjetische Botschaft
war mit Abstand der größte Gebäudekomplex auf dem Prachtboulevard, ein riesiger
Sandsteinpalast im stalinistischen Zuckerbäckerstil, auf dem die rote Fahne
wehte.
    »Nehmen Sie
den Hintereingang in der Behrenstraße«, hatte der Anwalt empfohlen. Die Wachen
dort waren offenbar instruiert worden, Meyer sofort bis zum stellvertretenden
Militärattaché durchzulassen. Ohne die sonst üblichen umständlichen
Formalitäten.
    General
a. D. Gennadi Njasow thronte in seinem opulenten, birkenholzvertäfelten Büro
hinter einem riesigen Schreibtisch vor einem Wald aus Flaggen der sowjetischen
Unionsrepubliken. Ein rotgesichtiger Hüne von etwa sechzig Jahren. Das
schüttere Haar straff gescheitelt. Er trug Zivil, den typischen steingrauen,
mit Ordensspangen dekorierten Anzug der Sowjetfunktionäre, und pulte sich mit
viel Hingabe und einem Zahnstocher im Mund herum.
    Es
herrschte eine Gluthitze im Raum, denn trotz des sommerlichen Wetters draußen
brannte im offenen, von Granit und rotem Marmor eingefassten Kamin ein
loderndes Feuer. Glühende Holzscheite knackten, die Flammen prasselten, dass
man dort hätte Stahl schmelzen können.
    Meyer
jedenfalls fühlte sich wie in einem Hochofen. Aus jeder Pore seines Körpers
rann der Schweiß.
    »Wundern
Sie sich nicht über das Feuer«, nuschelte der General, faserige Fleischreste
zwischen den Zähnen hervorkratzend, »ich habe Hühnchen gegessen. Es ist besser,
wenn man die Knochenreste hinterher im Kamin verbrennt. Wirft man sie in den
Müll, fangen Sie bei dem Wetter schnell an zu stinken.«
    »Ja, es ist
in der Tat sehr warm«, pflichtete Meyer bei und tupfte sich die nasse Stirn.
»Wie in einer Sauna.«
    »Sauna ist
gut, sehr gesund«, meinte der Russe und warf seinen Zahnstocher ebenfalls in
den Kamin, »entschlackt Körper und Geist.« Er hielt Meyer seine große
fleischige Hand hin. »Und? Wie gefällt Ihnen Ihr Ausgang, Genosse Meyer? Sie
sehen, der Arm der sowjetischen Diplomatie reicht noch immer weit. Sonst würden
Sie hier nicht …«, er deutete auf einen der im Raum herumstehenden
Ledersessel, »aber bitte, nehmen Sie doch Platz … sitzen.«
    Puh, dachte
Meyer schweißgebadet. Wenn sowohl der Bundesnachrichtendienst als auch die
Russen für sich beanspruchten, ihm den Freigang ermöglicht zu haben, schienen
sie ihn ja dringend zu brauchen.
    »War der
Arm der sowjetischen Diplomatie nicht stark genug, mich gleich ganz von der
Haft zu verschonen?«
    »Keine
Sorge, Genosse Meyer«, der General lachte dröhnend, »Sie sind schneller wieder
frei, als Sie glauben.« Er lief um seinen Schreibtisch herum und holte eine
Flasche Wodka aus einem Eisfach, das hinter dem Gemälde eines russischen
Raketenwerfers vor dramatisch roter Abendsonne in die Wand eingelassen war.
»Trinken wir auf Ihre persönliche und individuelle Freiheit.« Er goss zwei
Wassergläser voll und reichte eines davon Meyer. »Na sdorowje!«
    Die Gläser
klirrten und wurden mit einem Zug ausgetrunken. So war es bei den Russen Sitte.
Der General schenkte sofort nach.
    »Was wissen
Sie über die politische Situation in Moskau?«
    »Nicht
viel«, antwortete Meyer und tupfte sich erneut die
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