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Kreuzberg

Kreuzberg

Titel: Kreuzberg
Autoren: Oliver G. Wachlin
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Stirn. »Der neue
Unionsvertrag ist ausgehandelt, Gorbatschow im Urlaub auf der Krim. Der ideale
Zeitpunkt für einen Putsch.«
    »Aber nein,
nicht dieses unschöne Wort!« Njasow verzog angewidert das Gesicht. »Putschisten
sind Verräter. So entstehen Militärregime. Wir aber sind«, er grinste gutmütig,
»brave Kommunisten. Menschenfreunde. Keine Diktatoren.« Er betrachtete
nachdenklich den Wodka in seinem Glas. »Wir versuchen nur, das Erreichte zu
bewahren und zu vervollkommnen.«
    »Was kann
ich für Sie tun, Genosse Njasow?«
    »Das will
ich Ihnen sagen.« Der General sah Meyer prüfend aus farblos wässrigen Augen an.
»Aus guten Quellen weiß ich, dass Sie trotz Ihrer Inhaftierung immer noch
erstklassige Kontakte zu zuverlässigen Genossen im politischen Untergrund
haben.«
    »Schon
möglich.« Meyer wartete ab.
    »Mindestens
zweitausend Mitarbeiter Ihres ehemaligen Ministeriums für Staatssicherheit
sitzen weiterhin unerkannt in wichtigen politischen, journalistischen wie
wirtschaftlichen Gremien der Bundesrepublik. Ist das korrekt?«
    Meyer hob
abwehrend die Hände.
    »Verstehe.«
Njasow klopfte ihm wohlwollend auf die Schultern. »Natürlich können Sie nicht
offen darüber sprechen. Und das müssen Sie auch nicht. Uns interessiert
lediglich, wie lange Sie brauchen, um diese Kräfte zu aktivieren.«
    »Um was zu
tun?«
    »Nun,
Genosse Meyer«, Njasow setzte sich ihm gegenüber und schlug die Beine
übereinander, »was auch immer in Moskau passieren mag, wir sind an guten
Beziehungen zu Deutschland interessiert. Wir möchten Unruhe unter der deutschen
und insbesondere unter der Berliner Bevölkerung weitgehend vermeiden.«
    »Soll die
Stadt …«, Meyer überlegte, »… wieder zum Spielball zwischen den
Großmächten werden?«
    »Das ist
kein Spiel«, konterte Njasow scharf. »Und was die Größe der Sowjetunion
betrifft …« Er deutete auf das obligatorische Porträt des sowjetischen
Präsidenten Michael Gorbatschow an der Wand, und seine Stimme bekam einen
sarkastischen Unterton. »Die hat der große Reformer da oben leichtfertig
verspielt. – Tja.« Bitter sah er Meyer an. »Die Deutschen haben ihre
Wiedervereinigung für ein Handgeld bekommen.«
    »Sie wollen
nachverhandeln?« Meyer fächelte sich hilflos mit der flachen Hand etwas Luft
zu. »Dafür ist es womöglich zu spät.«
    »Es ist nie
zu spät, Genosse Meyer.« Njasow hob sein Glas. »Na sdorowje!«
    Sie
tranken.
    »Uns ist
die Gefahr einer außenpolitischen Krise natürlich bewusst«, der General füllte
die Gläser nach, »und deshalb wollen wir alles daran setzen, die Irritationen
so gering wie möglich zu halten. Der beruhigende Einfluss Deutschlands auf
seine westlichen Verbündeten wäre da durchaus von Vorteil.«
    Meyer
schüttelte den Kopf. »Eine Umkehr der Verhältnisse dürfte in der deutschen
Politik kaum auf Zustimmung stoßen. Die Wiedervereinigung –«
    »Ich bitte
Sie«, rief Njasow und riss dramatisch die Arme hoch, »niemand in Moskau will
die deutsche Wiedervereinigung in Frage stellen! Aber vergessen Sie nicht«, er
klopfte mit Nachdruck auf den Tisch und betonte dabei jedes Wort, »dass die
tapferen Völker der Union der sozialistischen Sowjetrepubliken die Hauptlast
des deutschen Angriffskrieges zu tragen hatten. Eines Krieges, dessen Folgen
noch heute spürbar sind und den die ruhmreiche Rote Armee nur unter großen
Opfern für sich entscheiden konnte.«
    »Was wollen
Sie?« Meyer fiel es schwer, sich in dieser Gluthitze zu konzentrieren. Ihm
brannten die Augen, weil Schweiß hineingelaufen war. »Eine Wiederaufnahme der
Zwei-plus-Vier-Gespräche? Eine Neuverhandlung über den politischen Status von
Berlin? Eine Neuregelung etwaiger Reparationen?«
    »In jedem
Fall wird Moskau wieder eine Position der Stärke beziehen, wie sie Siegern
vorbehalten ist«, erklärte General Njasow mit Bestimmtheit. »Die deutsche Frage
ist auch mit der Wiedervereinigung nicht abschließend geklärt, was gewissen
reaktionären Kräften hier natürlich nicht gefallen kann. Deshalb, Genosse
Meyer, gilt es, die progressiven, die fortschrittlichen Kräfte in Ihrem Lande
nachhaltig zu stärken und auf die Gegner unserer Politik vorab destruktiv
einzuwirken.«
    »Ich
fürchte, Sie überschätzen unseren Einfluss, Genosse Njasow.«
    Meyer erhob
sich. Er musste raus hier, denn es war ihm entschieden zu warm. Keine Sekunde
mehr würde er es in dieser überheizten Bude aushalten. Er sehnte sich nach
Erfrischung, sommerlichen Klamotten,
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