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Krach der Kulturen um einen Fahrstuhl an der Piazza Vittorio - Roman

Krach der Kulturen um einen Fahrstuhl an der Piazza Vittorio - Roman

Titel: Krach der Kulturen um einen Fahrstuhl an der Piazza Vittorio - Roman
Autoren: Verlag Klaus Wagenbach
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zwar mit Mühe, aber doch – wieder durch den Mund atmen konnte. Amedeo bestand darauf, dass ich diese Nacht bei ihm zuhause verbrachte. Die Wahrheit ist, dass Amedeo der Einzige in dieser Stadt ist, der mich gern hat.
    Undenkbar! Amedeo ein Mörder! Das werde ich Ihnen niemals glauben. Ich kenne ihn, wie ich den Geschmack von Chianti und von Ghormeh Sabzi kenne. Und ich bin sicher, dass er unschuldig ist. Was hat denn Amedeo mit diesem Verbrecher zu tun, der in den Aufzug pisst? Ich habe es mit meinen eigenen Augen gesehen und ihm gesagt: »Das hier ist kein öffentliches Klo!« Er sah mich voller Hass an: »Wenn du nochmal was sagst, pisse ich dir ins Maul! Du bist Gast in meinem Land, du hast hier überhaupt nichts zu sagen! Hast du verstanden, du Stück Scheiße?« Und dann schrie er mir immer wieder entgegen: »Italien den Italienern! Italien den Italienern!« Mit dem wollte ich mich nicht streiten, der ist doch verrückt. Haben Sie je von einem gesunden Menschen gehört, der in den Fahrstuhl pinkelt, ohne sich zu schämen, und der sich »il Gladiatore« nennt? Ehrlich gesagt tut es mir nicht leid, dass er tot ist. Aber der junge Gladiator ist nicht der einzige Irre im Haus. Es gibt da eine Nachbarin von Amedeo, die ihr Hündchen Amore nennt. Sie behandelt das Tier wie ein Kind oder den Ehemann. Ich habe sogar mal gehört, dass es neben ihr schläft, im selben Bett. Ist das nicht der Gipfel der Verrücktheit? Gott hat die Hunde geschaffen, damit sie Wache halten und die Herde vor Angriffen durch Wölfe schützen oder um Diebe zu vertreiben – aber doch nicht, um sie in den Armen von Frauen schlafen zu lassen!
    Die Wahrheit müsst ihr woanders suchen. Ich habe ja den jungen Blonden im Verdacht, der mit dem Gladiatore zusammenwohnte. Ganz sicher ist der ein Spion oder Agent von irgendeinem Geheimdienst. Ich habe ihn öfter von weitem gesehen, wie er mir hinterherspionierte, wenn ich die Tauben von Santa Maria Maggiore fütterte. Einmal hat er mich mit seltsamen Fragen überschüttet: »Warum hast du die Tauben so gern?«, »Warum fährst du immer mit dem Aufzug?«, »Warum trinkst du dauernd Chianti?«, »Warum bist du so eng mit Amedeo?«, »Wieso verabscheust du Pizza so sehr?« Da hab ich ihn angeschrien: »Was willst du von mir, du Spion?« Diese verdammten Spione, immer auf der Suche nach geheimen Dingen! Er sah mich erstaunt an: »Verstehst du nicht, ich brauche all die Informationen über dein Leben für meinen Film!« Baff habe ich ihn gefragt: »Bitte was?« Und er: »Ich spreche von dem Film, den ich machen will und in dem du die Hauptrolle spielen wirst, Parviz.« Ich war perplex und fragte mich ernsthaft, ob dieser verdammte blonde Typ ein Spion war oder verrückt. Als ich Amedeo von dieser Sache erzählte, lächelte er und sagte: »Parviz, vor dem Blonden brauchst du dich nicht zu fürchten. Er träumt davon, eines Tages ein Filmregisseur zu sein. Der Mensch braucht Träume wie die Fische das Wasser.« Was Amedeo da sagte, habe ich nicht so ganz verstanden. Aber egal. Was wirklich zählt, ist, dass ich ihm blind vertraue.
    Ich bin sicher, dass da irgendwas falsch läuft. Nach der Sache mit meinem Sprechstreik brachte mich Amedeo dazu, Widerspruch einzulegen. Die Kosten dafür übernahm er. Nach einer Weile haben sie meinen Fall noch einmal geprüft und eingeräumt, dass ich nichts als die Wahrheit gesagt und dass ich niemanden angelogen habe. So haben sie mir letztendlich politisches Asyl gewährt. Ich bin ehrlich und halte mit nichts zurück, auch, weil ich nach Kindern, Frau, Haus und Restaurant nichts mehr zu verlieren habe. Lassen Sie mich also sagen, dass ich der italienischen Polizei nicht sehr vertraue. Wie viele Male haben sie mich ins Polizeipräsidium gebracht, um mich dort zu verhören wie einen Schwerverbrecher!
    Ich rede hier kein dummes Zeug. Sagen doch Sie mir mal bitte schön, ob es in Italien ein Verbrechen ist, Tauben zu füttern. Kann man dafür vielleicht verurteilt werden? Warum ich das frage? Ganz einfach: Wie Sie wissen, gibt es auf der Piazza Santa Maria Maggiore reichlich Tauben. Ich jedenfalls liebe sie und es ist mir eine große Freude, sie zu füttern. Wenn ich inmitten vieler Tauben bin, ziehe ich die Aufmerksamkeit der Touristen auf mich, und die wollen dann unbedingt Erinnerungsfotos schießen. Was ich da mache, ist mein Beitrag zur Tourismuswerbung für Rom. Allerdings hilft mir das gar nichts. Die Polizei hat mir schon mehrfach verboten, mich den Tauben zu nähern.
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