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Krach der Kulturen um einen Fahrstuhl an der Piazza Vittorio - Roman

Krach der Kulturen um einen Fahrstuhl an der Piazza Vittorio - Roman

Titel: Krach der Kulturen um einen Fahrstuhl an der Piazza Vittorio - Roman
Autoren: Verlag Klaus Wagenbach
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Die Wahrheit des Parviz Mansoor Samadi
    Vor einigen Tagen, es war noch nicht einmal acht Uhr morgens, saß ich in der U-Bahn, rieb mir die Augen und kämpfte gegen die Müdigkeit, weil ich in aller Frühe hatte aufstehen müssen, als ich sah, wie eine junge Italienerin eine Pizza von der Größe eines Regenschirms verschlang. Mir wurde speiübel. Es fehlte nicht viel, und ich hätte mich übergeben. Gott sei Dank ist sie an der nächsten Haltestelle ausgestiegen. Eine Zumutung, das mitanzusehen! Es müsste ein Gesetz geben, das all jene bestraft, die es wagen, den Frieden braver Bürger zu stören, die morgens zur Arbeit fahren und abends wieder nach Hause. Der von Pizzaessern in der U-Bahn verursachte Schaden geht nämlich weit über das hinaus, was Zigaretten so anrichten. Ich hoffe, dass die zuständigen Behörden dieser delikaten Frage die Bedeutung beimessen, die ihr zukommt, und augenblicklich damit beginnen, Schilder mit der Aufschrift »Pizza essen verboten« anzubringen, gleich neben den »Rauchen verboten«-Schildern, die einem an jedem U-Bahn-Zugang ins Auge springen. Ich würde ja zu gern mal wissen, wie die Italiener das machen, morgens und abends diese erstaunlichen Teigmengen zu verdrücken.
    Nichts esse ich so ungern wie Pizza. Aber das heißt ja noch lange nicht, dass ich Pizzaesser nicht leiden kann. Ich möchte, dass das hier von vornherein ganz klar ist: Ich habe überhaupt nichts gegen Italiener.
    Nicht, dass Sie denken, ich schweife ab, ganz im Gegenteil, ich spreche hier von Amedeo. Haben Sie doch etwas Geduld mit mir. Wie Sie wissen, ist Amedeo mein einziger Freund in Rom. Er ist sogar mehr als ein Freund, und ich übertreibe nicht, wenn ich sage, dass ich ihn so gern habe wie meinen Bruder Abbas. Ich mag Amedeo wirklich sehr – auch wenn er nach Pizza geradezu süchtig ist. Wie Sie also sehen, entspringt meine Abneigung gegen Pizza nicht etwa irgendeiner Art von Feindseligkeit gegen die Italiener.
    Tatsächlich spielt es überhaupt keine Rolle, ob Amedeo Italiener ist oder nicht. Vielmehr beschäftigt mich die Frage, wie ich unter allen Umständen vermeiden kann, dass meine Pizza-Aversion unangenehme Folgen für mich hat. Vor einigen Wochen haben sie mich zum Beispiel aus einem Ristorante nahe der Piazza Navona, wo ich als Tellerwäscher gearbeitet habe, rausgeschmissen, als sie zufällig herausfanden, dass ich Pizza hasse. Diese Hurensöhne. Aber auch nach einem solchen Skandal gibt es immer noch Leute, die glauben, dass in diesem Land die Freiheit des Geschmacks, der Rede, des Glaubens und die Demokratie gesichert sind!
    Und das wüsste ich ja auch mal gern: Gibt es vielleicht ein Gesetz, das Pizzahasser bestraft? Wenn die Antwort ja ist, dann stehen wir vor einem echten Skandal. Und wenn nicht, dann habe ich jedes Recht der Welt auf eine Entschädigung.
    Immer mit der Ruhe. Erlauben Sie mir, Ihnen zu sagen, dass Ihr größter Fehler die Hast ist. Ihre Losung heißt doch Ungeduld. Sie trinken Ihren Espresso wie ein Cowboy seinen Whisky! Dabei ist es mit dem Kaffee wie mit dem Tee: Man genießt ihn in kleinen Schlucken und schüttet ihn nicht in einem Zug hinunter. Amedeo ist wie heißer Tee an einem kalten Tag. Oder noch besser, Amedeo ist wie das Obst, das man zum Ende einer Mahlzeit genießt, nach der Bruschetta mit Tomaten oder mit Oliven, gefolgt vom ach so wichtigen ersten Gang, dem Primo, das aus jeder Art Pasta, die mir ja zuwider ist, bestehen kann, wie Spaghetti und Konsorten (Ravioli, Fettuccine, Lasagne, Fusilli, Orecchiette, Rigatoni etc.), und zu guter Letzt dann das Secondo, das Hauptgericht, mit Fleisch oder Fisch und Gemüse. Alles Sachen, die ich bei meinen Gelegenheitsjobs in italienischen Restaurants kennengelernt habe. Ich liebe Obst über alles, darum muss man sich nicht wundern, wenn ich Amedeo mit Obst vergleiche. Sagen wir es so: Amedeo ist durch und durch gut, so wie Weintrauben. Und wie gut Traubensaft schmeckt!
    Es ist überflüssig, immer wieder ein und dieselbe Frage zu stellen: Ist Amedeo Italiener? Egal wie die Antwort lautet: Sie wird das Problem nicht lösen. Wer ist denn eigentlich Italiener? Wer in Italien geboren ist, einen italienischen Pass besitzt und einen Personalausweis, die Sprache gut spricht, einen italienischen Namen und seinen Wohnsitz in Italien hat? Wie Sie sehen, ist das eine sehr komplexe Frage. Ich behaupte nicht, dass Amedeo ein Rätsel ist. Er ist eher wie ein Gedicht von Omar Khayyam. Du brauchst eine Ewigkeit, um es zu begreifen. Aber
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