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Die fünf Seelen des Ahnen (German Edition)

Die fünf Seelen des Ahnen (German Edition)

Titel: Die fünf Seelen des Ahnen (German Edition)
Autoren: Ulrike Nolte
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    Es war zwei Uhr nachmittags, und
Serail hatte sich gerade gemütlich auf die andere Seite gedreht und
beschlossen, noch ein Stündchen zu schlafen. Er lag in einer dämmrigen Wohnhöhle.
Die Wände bestanden aus knorrigen Baumwurzeln, als Bett diente ein rohes Birkenholzgestell,
über das Tierhäute gespannt waren. Verschiedene Pelze lagen darauf verstreut:
Zobel, Polarfuchs, Perserkatze. Vögel zwitscherten. Es war ein perfekter
Nachmittag, bis sein Getrauter durch die Tür kam und ihm die Decke wegrupfte.
    „Du verschläfst gerade ein
geschichtliches Ereignis. Hallo, hörst du mich? Es gibt da draußen einen
Wasserplaneten, und auf der Brücke ist Vollversammlung in genau ... achtundzwanzig
Minuten!“
    Serail brummte und zog das Kissen
über den Kopf. Caravan hatte die Grausamkeit besessen, sämtliche Lampen
hochzuschalten. Die Sonnenstrahlen aus der Höhlenöffnung wurden gleißend, ein
Lagerfeuer flammte in der Mitte des Raumes auf. „Wasserplaneten sind eine Legende“,
knurrte Serail. „Lass mich in Ruhe.“
    Sein Getrauter stand mitten im
Lagerfeuer, was Serails Laune nicht verbesserte. Er hatte Tage gebraucht, um
diese Illusion zu erschaffen. Jeder Mensch mit einem bisschen Sinn für Romantik
hätte darauf Rücksicht genommen und wäre um die Flammen herum gegangen. Stattdessen
stellte Caravan fest: „Die Kabine sieht aus wie ein Schweinestall. Ich nehme an,
das gehört zu dieser neuen Modewelle, die du aufgeschnappt hast? ‘ Alt-terranische Lebensweise’. Zurück zum Urschlamm.“
    Serail seufzte gequält und stellte
mit einem Blinzeln sein Implantat an, so dass die Stromsicht verschwand und nur
die langweilige Wirklichkeit übrig blieb. Er musste zugeben, dass Caravan Recht
hatte. So gesehen, war der kahle Raum ein Chaos aus verstreuter Unterwäsche,
Popcorn und leeren Champagnergläsern. Allmählich fiel ihm die Party wieder ein.
Gleich danach kamen die Kopfschmerzen. Er jaulte und griff erneut nach seinem
Kissen.
    „Nix da“, sagte Caravan und warf
das Pelzstück in die hinterste Ecke der Kabine. Wenigstens hatte er Mitleid
genug, ein Glas mit Anti-Kater-Mischung aus dem Recycler zu holen. Das Gebräu,
das dampfend in einem Plastikbecher erschien, sah nicht besonders einladend
aus, aber für Serail war es das Wasser des Lebens. Er brachte sogar ein
verzerrtes Lächeln zustande, während er mit geschlossenen Augen danach griff
... Das Lächeln verschwand gleich darauf, als Caravan ihn am Kragen packte und
ihn kurzerhand aus der Tür schleifte, in Richtung Schiffsbrücke.
     
    Vor der Tür herrschte das übliche
Gedränge. Die beiden hatten darauf verzichtet, im Crew-Bereich zu wohnen, der
komfortabel aber langweilig war. Hier, am Rand der Passagierstadt 1.3
Lilienthal, gab es immer etwas zu sehen. Ein bunter Strom von Menschen schob
sich durch die engen, niedrigen Gänge: Jesuiten, Samurai, Pompadour ... Da man
sich in diesem Bauabschnitt nicht die Mühe gemacht hatte, die glatten Wandflächen
mit einer Verkleidung zu überziehen, warf das Metall die Bilder der
Vorüberkommenden zwischen sich zurück wie ein Spiegellabyrinth. Tausende von
Menschen schienen sich gleichzeitig in allen Richtungen durch die Stahlröhre zu
pressen. Serail konnte sich selbst vervielfacht in der glitzernden
Unendlichkeit verschwinden sehen. Man musste den Anblick gewohnt sein, um an
den Kreuzungen nicht gegen die nächste Wand zu laufen.
    Er stellte das Implantat ab, um
die unangenehme Wirklichkeit verschwinden zu lassen, und die Umgebung
verwandelte sich vor seinen Augen. Geisterhaft legte sich das Bild einer Landschaft
über den kahlen Gang. Für einen kurzen Augenblick existierten beide Ebenen
gleichzeitig, die Illusion schimmerte flüchtig wie eine Seifenblasenwand. Dann
wurde der Stromraum stabil und verdrängte den Anblick von kaltem Metall, den
Geruch von verbrauchter Luft, den harten Faserplastboden unter Serails Füßen.
    Der Strom umschloss seine Sinne,
ein frischer Wind erfasste Serails Haar, und Orchideenduft strömte ihm aus
einem fernen Dschungel entgegen. Holzplanken bewegten sich unter ihm, so dass er
für einen Moment fast das Gleichgewicht verlor. Als er die Balance wiedergefunden
hatte, warf er einen ungläubigen Blick auf das Design, eine morsche Hängebrücke,
die sich vor ihm bis zum Horizont erstreckte. Ständig programmierte
irgendjemand die Landschaften vor seiner Wohnungstür um, und die Strecke schien
von Mal zu Mal abenteuerlicher zu werden. Das schmale Gerüst aus Stricken und
Brettern
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