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Kostbar wie ein Tag mit dir - Roman

Titel: Kostbar wie ein Tag mit dir - Roman
Autoren: Susan Fraser
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Straße verschwand. An der Stelle, wo der steile Abhang war, sausten wir zwischen den Bäumen hindurch abwärts, rutschten und rutschten, bis wir schließlich vor einem großen, schneebedeckten Felsblock liegen blieben.
    An jenem Morgen erschien ich viel zu spät zur Arbeit, denn meine Höchstgeschwindigkeit hatte nur zwanzig Stundenkilometer betragen. Mein Beifahrer allerdings hatte sein Vergnügen, er fand, es war die beste und gruseligste Fahrt, die er je erlebt hatte, sogar besser als auf der Osterkirmes, und die ganze Zeit hatte er nach Glatteis Ausschau gehalten.
    Aber wenn ich jetzt daran denke, war genau das das Problem - unsere Talfahrt hatte schon vor langer Zeit begonnen. Wir waren längst ins Schleudern geraten, und ich hatte es nicht einmal kommen sehen.
    Das heimtückische Glatteis.

6
 
    A m schwersten ist es, alles zusammenzufügen. Ich kann mich noch an jede Kleinigkeit erinnern, ich habe alle Einzelheiten im Kopf wie Hunderte und Aberhunderte von Seiten voller Wörter. Aber es ist, als hätte ein plötzlicher Windstoß sie durcheinandergewirbelt; deswegen kann ich nicht sagen, was an welcher Stelle stehen muss. Marc dagegen findet das leicht. Aber er kapiert nicht, warum das alles so gekommen ist. Das ist komisch, denn ich wiederum verstehe die Gründe sehr gut.
    Wenn ich nur alles wieder zusammensetzen kann, vielleicht versteht er sie dann auch.
    Marc zufolge waren wir sofort, nachdem die beiden bedrückten Polizeibeamten mit Charlie gesprochen hatten, unmittelbar danach, wieder allein. Ich merkte es nicht gleich. das ist das Unheimliche daran. Erst als ich etwas zu Marc sagte, etwas wie: »Ich könnte noch was zu trinken vertragen«, und überlegte, wo ich mein Glas gelassen hatte - auf dem Sofatisch oder auf dem Kaminsims? -, da begriff ich es.
    Wir befanden uns gar nicht mehr im Wohnzimmer. Nein, der Raum, in dem wir uns aufhielten, hatte nicht die geringste Ähnlichkeit mit dem Wohnzimmer oder einem anderen Teil unseres Hauses in Lherm. Und als ich zu Marc hinüberschaute, erkannte ich zwar, dass er mit mir sprach, aber zuerst konnte ich ihn nicht hören. Dann jedoch verstand ich jedes Wort.
    »Was?«, rief er laut, und ich fragte mich, warum. »Was hast du gesagt, Annie?«
    Da wurde mir klar, dass er mich bei dem Krach nicht gehört hatte. Ja, an den Krach erinnere ich mich. Er war wie ein Gewitter, anfangs nur ein fernes Grollen, dann konnte ich gedämpfte Stimmen, Gelächter und Gläserklirren unterscheiden. Die Geräusche kamen immer näher, unheimlich, von einem weit entfernten Ort.
    Dann plötzlich brach es über uns herein.
    Es roch nach schalem Bier und Zigarettenrauch, die Luft war stickig. Wir standen zusammen, wurden von einer schwitzenden Menge gegeneinandergedrückt, von Leuten, die ausgelassen feierten. Nur dass mir gar nicht nach Feiern zumute war. Ich griff nach Marc, packte seinen Arm, konnte aber nur flüstern, sodass er mich bei dem Lärm, diesem unglaublichen Radau, nicht hörte.
    »O Gott, Marc ... Wo sind wir bloß?«
    Als unsere Blicke sich trafen, sah ich die Panik in seinen Augen. Offensichtlich konnte er es sich auch nicht erklären. Es war alles so schnell gegangen - als wäre ein Gewitter auf uns niedergegangen, eine Welle über uns zusammengeschlagen. Als ich mich umdrehte, um mich zu orientieren, stieß ein Kerl mit kurz geschorenem rotem Haar und eingedrückter Nase heftig gegen mich und rammte mir sein Bierglas gegen die Schulter, sodass schäumendes schwarzes Bier mir kalt in den Ausschnitt spritzte.
    »'tschuldigung, Schätzchen!« Aber der Mann grinste so anzüglich, als täte es ihm keineswegs leid, und seine trüben roten Augen glotzten auf meinen Busen. »Darf ich dir das abwischen? Vielleicht 'n bisschen rubbeln?«
    Wer waren diese Leute bloß?
    Als ich mich Marc wieder zuwandte, bemerkte ich jedoch etwas noch Seltsameres. Sein Gesicht, diese vertrauten Züge, wirkten irgendwie anders, ganz anders; ich kam nur nicht darauf, wieso. Ich streckte die Hand nach seiner Wange aus.
    »Marc?«
    Er starrte mich bloß schweigend an. Da fielen mir seine Augen auf. Behutsam strich ich mit einem Finger über die weiche Haut darunter. Irgendetwas stimmte da überhaupt nicht. Auf einmal wusste ich, was es war. Die Fältchen, dieses feine Netzwerk in den Augenwinkeln, waren verschwunden! Und Marcs Lider wirkten straffer, als sei die Haut zurückgezogen worden, als hätte ...
    »Ich verstehe das nicht -« Ich fuhr mit den Fingerspitzen über seine Wangenknochen, ließ sie
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