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Kostbar wie ein Tag mit dir - Roman

Titel: Kostbar wie ein Tag mit dir - Roman
Autoren: Susan Fraser
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ihrem geländewagen, neben dem Stapel Gewehre, lag ein toter Hirsch oder ein Wildschwein, wenn sie ganz viel Glück gehabt hatten. André war selbst ein großes wildes Tier, mit einem dröhnenden Lachen, das Tote aufwecken konnte, ein behaarter Riese mit dunklem Schopf und Händen so dick wie Quallen. Ich wunderte mich, dass er es überhaupt schaffte, den Finger durch den Abzug zu schieben. Charlie verpasste ihm den Spitznamen le Géant, der Riese.
    Unsere Finanzmittel waren inzwischen fast erschöpft. Doch am Haus blieb immer noch ganz viel zu tun. Und uns stand ein Winter ohne Zentralheizung bevor. Monsieur Martin schüttelte den Kopf und lachte sein zahnloses Lachen, wobei er uns mit dem Finger drohte. »Attention, hein, les Australiens. Ça va geler!« Ohne Zentralheizung würden wir die frostige Jahreszeit keinesfalls überstehen, warnte er, schon gar nicht, wenn das Thermometer bis auf minus fünfzehn Grad sinken würde, so wie im letzten Jahr. »Minus fünfzehn?«, flüsterte ich. »Meint er das ernst, Marc?« Doch, offensichtlich ja.
    Also kauften wir uns einen großen alten Holzofen. Marc warb den Riesen und seine Jagdkumpane als Helfer an, um den Ofen die Vordertreppe hinaufzuschleppen. Als André durch das Haus stampfte, knarrten und bebten die Dielen aus lauter Protest. Er hätte den Ofen auch allein tragen können, wenn man ihn dazu angestachelt hätte.
    »Voilà!«, rief Marc, als sie das Monstrum schließlich behutsam vor dem Kamin abgesetzt hatten. »Der wird uns im Winter warm halten.«
    Das schallende Gelächter des Riesen ließ die Fensterscheiben klirren.
    Etwa zu der Zeit wurde mir schmerzhaft bewusst, dass mein Lehrerdasein doch kein Remake von Junge Dornen werden würde. Ich kämpfte auf verlorenem Posten. Dafür, dass sie Teenager waren, waren meine Schüler zwar ganz nett, aber eigentlich wollten sie nichts weiter, als draußen in ihren Autos sitzen, eine clope paffen und mit ihren Handys telefonieren. »A quoi ça sert?«, jammerten sie immer, wenn ich ein Gespräch auf Englisch in Gang zu bringen versuchte. Schließlich fragte ich mich genauso wie sie: Wozu soll das gut sein? Ich konnte ihnen nur eine begrenzte Anzahl von Geschichten über Australien vorsetzen, bevor sie das Interesse verloren und ihre Tabakdröhnung brauchten. Eine Kurznachricht auf dem Handy war offensichtlich ungleich spannender, sodass ich irgendwann sogar überlegte, ihnen übers Handy Englischunterricht zu erteilen, per SMS. Das System hatte sie schon vor langer Zeit aufgegeben. Und ich war für sie nur ein bisschen leichte Unterhaltung, während sie sich durch die Hintertür davonmachten - eher eine Mary Poppins als ein Sydney Poitier.
    Selbst die Fahrten nach Cahors und zurück bekamen etwas Albtraumhaftes. Die Landschaft war natürlich immer noch schön, aber es war eher eine strenge, mystische Schönheit - schwarz zeichneten sich die Bäume mit ihren kahlen, krummen Ästen vor dem dämmrigen Himmel ab. Charlie saß zwar nach wie vor neben mir, doch die Dunkelheit verschlug ihm die Sprache. Ich erinnere mich an einen Abend, als die Sonne bereits unwiderruflich in ihrem Nachtquartier verschwunden war und wir die Straße nach Lherm hinauffuhren.
    »Whoa!«, rief Charlie plötzlich. Ich war so erschrocken, dass ich eine Vollbremsung hinlegte. Mit quietschenden Reifen kam der wagen zum Stehen. »Guck mal!«
    Es stand vor uns, direkt vor uns, regungslos. Mit ausdruckslosem Blick, von den Scheinwerfern verwirrt, starrte es uns an. Noch nie hatte ich ein Reh aus solcher Nähe gesehen - Kängurus, ja klar, Unmengen von Kängurus, aber noch nie ein Reh. Es war so zierlich - die Beine wirkten angespannt wie feine Sprungfedern. Und ich musste an Andre und seine Kumpel denken, diese blöden Scheißkerle, die in ihren dreckbespritzten Geländewagen hupend durchs Dorf röhrten, ganz in Natogrün gekleidet, schießwütige, idiotische Machos.
    Ich schaute Charlie an, der das Reh schweigend beobachtete und dabei selbst so still verharrte wie das Tier. Doch dann warf er mir einen raschen Blick zu, und seine Augen funkelten in der Dunkelheit.
    »Ich weiß, wie es sich fühlt.«
    »Wie was sich fühlt, Charlie?«
    Er deutete mit dem Kopf auf das Reh. »Ich weiß, was es denkt, wenn sie hinter ihm her sind ... wenn sie es aufstöbern.«
    Warum hatte ich das nicht kommen sehen?
 
    Als ich noch ein kleines Mädchen war, sagte Grandma zu mir: »wenn du dir etwas nur stark genug wünschst, passiert es auch, egal, was es ist.«
    »Du
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