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Tod auf der Themse

Tod auf der Themse

Titel: Tod auf der Themse
Autoren: Paul Harding
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    Prolog
    Das schwere Unwetter, das die
     Südküste Englands verwüstet hatte, war jetzt über die
     nördlichen Meere zu den eisigen Ländern gezogen, wo
     fellbekleidete Männer namenlosen Göttern Opferfeuer entzündeten.
     Von London bis Cornwall ließen sich die Chronisten der Klöster
     in allen Einzelheiten darüber aus, wieso das Unwetter eine
     Gottesstrafe gegen ein sündhaftes Königreich gewesen war. Und
     tatsächlich hatte der Zorn Gottes in den letzten paar Monaten sich unübersehbar
     ausgetobt. Eine mächtige französische Flotte unter dem
     Piratenkapitän Eustace, dem Mönch, hatte die Städte entlang
     der Südküste überfallen und ausgeplündert. Die
     Einwohner von Rye in Sussex hatten in ihrer Kirche Zuflucht gesucht. Dort
     hatten sie die französischen Korsaren einfach eingesperrt und das
     Gotteshaus bis auf die Grundmauern niedergebrannt; ohne auf die Schreie
     der Eingeschlossenen zu achten, hatten sie gestohlene Karren mit Silber,
     Teppichen und Lebensmitteln aus den geplünderten Häusern
     beladen.
    Die französische Flotte
     hatte sich zurückgezogen. London mit seinen Bastionen hatte nun Ruhe,
     während der graue Herbst in einen eisigen Winter überging.
     Schiffe lagen auf der Themse vor Anker und zerrten an ihren Trossen. Die
     Matrosen hatten Urlaub und vergnügten sich in der Stadt; nur
     Rumpfmannschaften waren an Bord geblieben und riefen die Stunden aus. Auf
     einem Schiff aber, auf der großen Kogge God’s Bright Light,
     war alles still. Die Laterne hoch oben am Mast flackerte und blinkte im
     kalten, grauen Licht der Morgendämmerung. Das Schiff bewegte sich
     knarrend und schwang an seiner Ankertrosse in der schwarzen, träge
     fließenden Themse sanft hin und her. Die Kräne auf St. Paul’s
     Wharf standen regungslos da, und die Türen der Lagerschuppen waren
     verrammelt und verschlossen. Nur hin und wieder schlich eine Katze auf der
     Jagd nach fettbäuchigen Mäusen und geschmeidigen Ratten über
     die Rollen ölgetränkter Taue, die Holzstapel und die dicken,
     eisenberingten Salzfässer, die hier standen.
    Für die Mäuse und
     Ratten war es eine Nacht des Überflusses gewesen; sie waren von den Müllhaufen
     heruntergekommen und unter den Türen der Lagerschuppen hindurchgeschlüpft,
     um dort an Kornsäcken und an großen, saftigen, in Leintücher
     gewickelten Schinken zu knabbern. Natürlich mußten sie erst
     einen Spießrutenlauf zwischen all den Katzen hinter sich bringen,
     die ebenfalls hier jagten. Eine Ratte, wagemutiger als die anderen,
     huschte auf dem Kai entlang, schlidderte die schimmelfeuchten Stufen
     hinunter und schwamm auf die Ankertrosse der Kogge zu; ihr öliger
     Leib dümpelte auf den Wellen des Flusses. Die Ratte war eine eifrige
     Jägerin, so gewandt und verschlagen, daß sie drei Sommer überlebt
     hatte und schon grau um die Schnauze geworden war. Vorsichtig benutzte sie
     die kleinen Krallen wie auch den Schwanz, um am Tau hinaufzukriechen, und
     dann glitt sie durch die Klüse auf das Deck. Dort verharrte sie,
     reckte den spitzen Kopf in die Luft und schnupperte. Irgend etwas stimmte
     hier nicht - mit ihrer empfindlichen Nase witterte sie Schweißgeruch,
     vermischt mit Parfümduft. Die Ratte war angespannt, und die Muskeln
     des schmalen, schwarzen Körpers wölbten sich über den
     Schultern. Die kohlschwarzen Knopfaugen spähten durch den Nebel, der
     gespenstisch über das Deck wehte; die Ohren lauschten aufmerksam in
     die Stille und warteten auf das leise Wischen eines Katzenschwanzes oder
     das rauhe Knarren von Holz, wo ein anderer Räuber über die
     Planken pirschte. Aber sie bemerkte nichts Ungewöhnliches, und so
     schlich sie weiter. Dann erstarrte sie jäh, denn jetzt waren Geräusche
     zu hören - der dumpfe Stoß eines Bootes, das längsseits
     kam, gefolgt vom Klang menschlicher Stimmen. Die Ratte witterte Gefahr;
     sie machte kehrt, lief zur Klüse zurück und wieselte die
     Ankertrosse hinunter. Lautlos glitt sie ins Wasser und schwamm zurück
     zum Ufer, wo die Zähne eines räudigen Katers sie erwarteten.
    Es war ein kleines
     Marketenderboot, das die Ratte verschreckt hatte, und die Stimmen gehörten
     einem Matrosen und seiner Begleiterin, einer jungen Dirne vom Fischmarkt
     bei der Vintry. Der Seemann versuchte, die Hure dazu zu überreden,
     die Jakobsleiter mit ihm hinaufzuklettern. Ihr blondes Haar war schon vom
     Flußnebel durchfeuchtet, und die grelle Schminke verlief auf ihrem
     Gesicht. Er
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