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Kostbar wie ein Tag mit dir - Roman

Titel: Kostbar wie ein Tag mit dir - Roman
Autoren: Susan Fraser
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PROLOG
 
    W ir waren auf dem Rückweg von Toulouse, fuhren im Regen auf der Autobahn. Auf dem Stück, wo die Fahrbahn sich auf zwei ganz schmale Spuren verengt, muss es irgendwo passiert sein. Ich hielt ohnehin immer den Atem an, wenn wir die Lastwagenkolonnen überholten, die von Spanien oder sogar von Portugal heraufkamen und auf der »Kriech«-Spur neben uns herdonnerten, nur um Haaresbreite entfernt. Und an diesem Abend war es besonders schlimm, weil es regnete und die LKWs uns mit Spritzwasser überschütteten, wenn wir an ihnen vorbeizogen. Obwohl die Scheibenwischer wie verrückt arbeiteten, fuhren wir nahezu blind.
    Da muss es passiert sein.
    Ich weiß noch, dass ich gerade per Handy mit Charlie telefonierte - ich sagte ihm, wir seien in etwa einer Stunde zu Hause und er solle mit den Computerspielen aufhören, nachsehen, ob die Fenster alle geschlossen seien, und dann duschen. Das war das letzte Mal, dass ich mit meinem Sohn sprach, und es war nur kurz. Ich merkte, dass er mitten in seinem Age-of-Empires- Spiel steckte, denn er war unkonzentriert; er redete mit dieser »Muss-jetzt-Schluss-machen«-Stimme, die mich immer ärgerte. Folglich habe ich wohl kaum »Schatz« oder sonst irgendwas besonders Liebes zu ihm gesagt. Ich glaube, ich habe mich nicht mal verabschiedet, und das nagt natürlich an mir. Ich wollte ihn einfach vom Computer loseisen, denn ich befürchtete, dass er den ganzen Tag vor dem Bildschirm gesessen hatte, auch wenn er beteuerte, das sei nicht der Fall gewesen. Aber ich wusste, wenn er log. Ich hörte es an seiner Stimme. Erklären kann ich das nicht. Ich spürte es einfach.
    »Gib ihm doch noch fünf Minuten!«, hatte Marc gesagt.
    In dem Moment wurde mir schlagartig klar, dass es eigentlich nicht so wichtig war. Charlie hatte seinen Spaß. Wir waren den ganzen Tag unterwegs gewesen, und ihm war es gut gegangen.
    »Cool!«, hatte er gesagt, als wir ihm morgens eröffnet hatten, dass wir ihn tagsüber allein lassen würden. Daraufhin hatten wir gelacht und ihn gefragt, wie er es denn fände, wenn wir ihn auch über Nacht oder sogar eine ganze Woche allein lassen würden.
    »Cool!« hatte er nur geantwortet.
    »Na klar!«, hatten wir gewitzelt. Dann müsse er alle Lichter brennen lassen aus Angst vor Aliens; und sich bloß von Toast mit Hefeaufstrich zu ernähren hätte er bestimmt auch bald satt. Ich ermahnte ihn noch, kein Messer oder einen anderen Metallgegenstand in den Toaster zu stecken, sollte das Brot hängen bleiben, und darauf zu achten, die Haustür stets abzuschließen. Außerdem dürfe er niemand Fremdem aufmachen und nicht mehr als drei Stück Schokolade auf einmal essen.
    »Ich weiß, Mummy.«
    Aber er hörte gar nicht zu.
    Die Sache ist die: Ich konnte ihn sehen - wir beide konnten ihn sehen genau in dem Augenblick, als er »Tschüs« knurrte, den Blick auf den Bildschirm geheftet, und auflegte, wobei er die Basisstation zuerst verfehlte, das Telefon dann aber mit Geklapper in den Halter steckte, ungeschickt. Ja, genau da ist es passiert - wir waren wieder bei ihm zu Hause.
    Obwohl ich mich nicht erinnere, jemals dort angekommen zu sein.
    Wir standen in der Tür und beobachteten ihn. Das strubblige sandfarbene Haar hing ihm in die Augen, während er mit den ungewaschenen Fingern eines Elfjährigen auf die Tastatur einhämmerte. Er hatte nicht mal den Kopf gehoben.
    »Siehst du, Marc?«, sagte ich.
    »Noch fünf Minuten, Charlie, c'est tout.«
    Doch er war so sehr in sein Spiel vertieft, dass er uns nicht mal mit einem Brummen bedachte.
    Aber spielte das überhaupt eine Rolle? Also entkorkte Marc den Colombelle, unseren Lieblingswein, den wir an jenem Tag zufällig in einer Hinterhof-Weinhandlung von Toulouse entdeckt hatten. Wir setzten uns aufs Sofa, schlürften unseren Wein, genossen den Augenblick und hörten zu, wie Charlie oben Krach- und Wummerlaute erzeugte, während er auf irgendeinem entlegenen Schlachtfeld im Mittelalter kämpfte. Es war ein schöner Tag gewesen, auch wenn Charlie tatsächlich fast die ganze Tafel Schokolade aufgefuttert hatte.
    Seltsamerweise hörten wir das Klopfen an der Tür nicht. Und im Nachhinein frage ich mich oft, ob es vielleicht der Wein war, der unsere Sinne betäubt hatte. Wir waren beide ganz entspannt. Charlie hatte den Computer endlich ausgeschaltet und stand unter der Dusche. Ich hörte, wie er ganz plötzlich das Wasser abdrehte - zu abrupt wie immer, denn jetzt hallte das Krachen der alten Rohre durchs ganze Haus, so wie in der
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