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Korona

Korona

Titel: Korona
Autoren: Thomas Thiemeyer
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gewesen, wenn ich keine Ohrlöcher gehabt hätte?«
    Lächelnd strich er mit dem Daumen über die Spitze des Messers. »Dann hätte ich Ihnen welche stechen müssen.«

3
    D er Landcruiser raste mit knapp hundert Stundenkilometern auf der schlecht befestigten Straße Richtung Westen. Amy war froh, endlich aus der Stadt raus zu sein. Diese Enge, der Dreck und der Gestank schlugen ihr aufs Gemüt.
    Sie hatten Kampala verlassen und fuhren jetzt über offenes Land. Das Licht Afrikas, die Farben, Geräusche und Gerüche zogen sie schnell wieder in ihren Bann. Die Frauen in ihren farbenprächtigen Gewändern, die Marktstände, an denen unzählige Gewürze und Früchte angeboten wurden und natürlich die Ankolerinder, die mit ihren langen Hörnern und schweren Kuhglocken laut bimmelnd und muhend die Straße entlanggetrieben wurden – all das war wie ein erfrischendes Bad nach einem heißen Tag. Wo man auch hinblickte, sah man Weideland und Äcker, sanfte Hügel und kleine Siedlungen. Lehmbauten reihten sich an der Straße entlang, immer wieder unterbrochen von gelben MTN -, roten CelTell- und blauen Telecom-Häuschen, den drei größten Anbietern in Ugandas gut ausgebautem Mobilfunknetz. Die Straßen waren gesäumt von Menschen, die dem Toyota neugierig hinterherblickten und ihnen zuwinkten. Während die Erwachsenen eher distanziert schauten, waren die Kinder vor Aufregung ganz außer Rand und Band. In Scharen rannten sie dem Wagen hinterher und taten dabei, als würde gerade die Limousine des Präsidenten vorbeifahren.
    »Muzungu! Muzungu!«
    Cox hob die Augenbrauen. »Was bedeutet das?«
    »Das heißt
Weißer«
, erläuterte Amy. »Mit unserer Hautfarbe sind wir in Uganda immer noch etwas Besonderes.«
    Der Mann nickte und zog ein ledergebundenes Skizzenbuch heraus. Er nahm einen Bleistift, prüfte dessen Spitze und ließ ihn dann rasch über das Papier fahren. Auf ihren fragenden Blick hin sagte er: »Stört Sie das?«
    »Was machen Sie denn?«
    »Nur eine Skizze. Ist so eine Angewohnheit. Hilft, die Hände ruhig zu halten. Macht es Ihnen etwas aus, wenn ich Sie zeichne?«
    Sie zuckte die Schultern. »Nein, eigentlich nicht. Ist allerdings das erste Mal.«
    »Im Ernst?« Er lächelte. »Kann ich gar nicht verstehen. Sie haben eine fabelhafte Nase.«
    Sie lachte. Es war seltsam, so genau betrachtet zu werden. »Erzählen Sie mir etwas über sich«, sagte sie. »Ein bisschen mehr als das, was in Ihren Papieren zu lesen war. Whitman war am Telefon sehr zugeknöpft.«
    Ray hob den Blick, setzte aber seine Zeichnung fort. »Was wollen Sie wissen?«
    »Alles. Über Ihre Zeit im Gefängnis, warum Sie hier sind und was Sie sich von dieser Reise versprechen.« Ihre Stimme bekam wieder einen amtlichen Klang. »Wenn Sie ein Geheimnis haben, sollten Sie mich besser einweihen. Es ist einfacher, hier zu reden als nachher im Camp, wo alle Welt mithört.« Mit einem schmalen Lächeln fügte sie hinzu: »Außerdem habe ich mich jetzt wirklich lange beherrscht, finden Sie nicht?«
    »Ist es Ihnen schwergefallen?«
    »Darauf können Sie wetten. Also, weswegen haben Sie gesessen?«
    Kratzend fuhr der Bleistift über das Papier. »Die Anklage lautete auf Totschlag in Tateinheit mit übermäßigem Alkoholkonsum.«
    »Was ist passiert?«
    »Ein Autounfall. Ich war der Fahrer. Es war nass, es war dunkel. Ich verlor die Kontrolle über den Wagen. Er kam von der Fahrbahn ab, rauschte in einen Wald und
Peng!
« Er schlug mit der Hand aufs Papier. »Keiner von uns war angeschnallt.«
    »Uns?«
    Er nickte. »Ich und meine beiden … Freunde. Ein Junge und ein Mädchen. Das Mädchen starb noch auf dem Weg ins Krankenhaus.«
    »Und der Junge?«
    »Kam mit dem Leben davon.«
    Amy dachte über die Worte nach. »Zehn Jahre für einen Autounfall?« Sie blickte skeptisch. »Ich mag ja kein Experte sein, aber das kommt mir reichlich übertrieben vor. Sie waren betrunken und sind von der Straße abgekommen. Tragisch, aber so etwas passiert. Oder gibt es da etwas, das Sie mir verschwiegen haben?«
    »Ich wollte Sie nicht mit Details langweilen.«
    »Wir haben eine lange Fahrt vor uns.«
    Cox griff in seine Hosentasche und förderte eine zerknüllte Packung Kaugummis zutage. Zwei waren noch drin.
    »Möchten Sie?«
    Amy warf einen kurzen Blick auf die Packung, dann verneinte sie. Er zuckte die Schultern und steckte beide Streifen in seinen Mund. »Das Mädchen war nicht irgendjemand«, fuhr er fort. »Sie war die Tochter eines hochrangigen Politikers und
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