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Korona

Korona

Titel: Korona
Autoren: Thomas Thiemeyer
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einer mehrtägigen Exkursion aufgebrochen waren. Doch wohin, das haben wir nie herausgefunden.«
    »Und dann?«
    »Nachdem wir einige Tage lang das Gelände abgesucht und nichts gefunden hatten, baten wir die Polizei um Hilfe. Wir waren überzeugt, dass die Entführung auf das Konto der oppositionellen Armee ging. Obwohl es einige Dinge gab, die nicht ins Bild passten.«
    »Zum Beispiel?«
    »Zum Beispiel wurden keine Forderungen gestellt, kein Lösegeld, keine Freilassung politischer Gefangener, nichts. Die üblichen Verdächtigen waren still und behaupteten, sie hätten mit der Sache nichts zu tun.«
    »Und dann?«
    »Es wurden Suchtrupps zusammengestellt, die das Gebiet tagelang durchkämmten. Ohne Erfolg. Von Will und seinen Leuten fehlt bis heute jede Spur. Es ist, als hätte sie der Erdboden verschluckt.« Sie seufzte. »Whitman bat mich daraufhin, die Leitung des Teams zu übernehmen. Seither habe ich keine ruhige Minute mehr.«
    »Wieso das?«
    »Hauptsächlich wegen der Gorillas«, sagte sie. »Seit dem Unwetter sind sie rastlos und aggressiv. Sie verlassen ihre angestammten Gebiete und ziehen umher. Und das nicht nur im nahe gelegenen
Bwindi Nationalpark,
überall in der Region, selbst bei uns in den Virungas. Mittlerweile ist es so schlimm, dass wir keine Touristengruppen mehr zu ihnen nach oben lassen können. Ein Desaster für die Region, denn sowohl Ruanda als auch Uganda und die Demokratische Republik Kongo sind auf die Einnahmen aus dem Gorilla-Tourismus angewiesen.«
    »Kann ich mir vorstellen. Und ausgerechnet da platze ich herein.« Er steckte sein Buch weg. »Tut mir wirklich leid, dass ich zu einem so ungünstigen Zeitpunkt komme. Hätte ich das gewusst, hätte ich es mir vielleicht anders überlegt.«
    Amy schenkte ihm ein schmales Lächeln. »Halb so wild, Sie überstehen wir auch noch.«

4
    E s war kurz nach fünf, als der Toyota das Tal verließ und hinauf in die Berge fuhr. Hier oben gab es nur noch Lehmpisten. Holpernd und schlingernd kroch das Allradfahrzeug durch die bizarre Landschaft. Das waren also die Virungas. Spitzkegelige Vulkane, deren markantes Profil eine der spektakulärsten Landschaften des gesamten Rift-Valleys bildete. Wie sie so dastanden, machten sie auf Ray den Eindruck steinerner Riesen, die man bei etwas Verbotenem ertappt hatte.
    Der afrikanische Grabenbruch ist eine geologische Verwerfung, die die afrikanische von der arabischen Platte trennt. Sie erstreckt sich über eine Distanz von sechstausend Kilometern und formt dabei eine Narbe, die von Syrien bis zum südlichen Ende Mosambiks reicht. An seiner engsten Stelle ist der Graben gerade mal dreißig Kilometer breit. Durchzogen von einer Kette von Seen, wird er an den Rändern von den Virungas und den Ruwenzori-Bergen flankiert, einer Region, die mit über fünftausend Metern nur knapp niedriger ist als die beiden höchsten Erhebungen Afrikas, der Kilimandscharo und der Mount Kenya. Im Süden folgt mit knapp tausendfünfhundert Metern einer der tiefsten Binnenseen der Erde, der Tanganjikasee.
    Die niedrig stehende Sonne schickte letzte Strahlen durch den Äther und ließ die Flanken der Vulkane rosa schimmern. Dunkelgrün und geheimnisvoll lagen die Wälder darunter. Dies war das Reich der Berggorillas, der seltensten Menschenaffen, die es auf diesem Planeten gibt. Ganze siebenhundert Exemplare existierten noch. Dreihundertachtzig von ihnen hier in den Virungas, der Rest im
Bwindi Impenetrable Forest.
Dank der ausgedehnten Schutzprogramme zahlreicher Tierschutzorganisationen, unter anderem des
Dian Fossey Gorilla Fund,
war ihre Zahl seit 1989 um siebzehn Prozent gestiegen. Doch das war nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Um diesen wunderbaren Tieren das Überleben zu ermöglichen, musste mehr getan werden. Viel mehr.
    Die Virungas lagen im Schnittpunkt dreier Länder, die vor enormen humanitären Problemen standen. Sie gehörten zu den ärmsten der Welt, und der Hunger war ihr täglicher Feind. Um ihn zu bekämpfen, wurden immer größere Teile der unberührten Natur erschlossen und urbar gemacht. Eine Entwicklung, die den Lebensraum der Gorillas weiter und weiter einschränkte. Welche Chance hatten diese Tiere, angesichts der stetig wachsenden Bevölkerung?
    Ray beobachtete besorgt, wie die Felder den Nationalpark teilweise bis an die äußersten Grenzen zurückgedrängt hatten. Der Lebensraum der Gorillas war auf ein Minimum beschränkt und bestand praktisch nur noch aus den steilen Hängen, die für den
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