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Korona

Korona

Titel: Korona
Autoren: Thomas Thiemeyer
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Ackerbau nicht genutzt werden konnten. Wenn man es genau betrachtete, war ihre Lage genauso hoffnungslos wie seine eigene. Auch sie standen am Abgrund. Zum Aussterben verdammt, genau wie er.
    Er schrak aus seinen Gedanken auf. Amy war von der Straße abgebogen und fuhr in den Wald hinein. Der Pfad vor ihnen war in düsteres Zwielicht getaucht. Riesige Bäume verdunkelten den Himmel. Mit ihren Bärten aus Flechten wirkten sie wie zottige Riesen, die ihre Köpfe zusammensteckten. Mit dem Verlassen der Straße hatten sie die letzte Verbindung zur Zivilisation gekappt. Ab jetzt regierte der Wald.
    Die Scheinwerfer des Toyotas schnitten durch den aufsteigenden Nebel wie durch Buttercremetorte. Angestrengt versuchte Ray, etwas zu erkennen, doch es war aussichtslos. Die Sicht war auf unter fünfzig Meter gesunken und der Pfad kaum mehr als ein schmaler brauner Streifen. Etwas zu viel Gas und die Räder drehten durch. Das Lenkrad ein wenig zu stark eingeschlagen und der Wagen kam ins Rutschen. Immer wieder brach das Heck aus und driftete gefährlich nah an eine der steilen Böschungen, die unvermutet rechts und links des Weges auftauchten. Der Biologin gelang es jedoch jedes Mal, das bockige Fahrzeug in den Griff zu bekommen. Ihre Fahrkünste waren beeindruckend. Niemals hätte er dieser zierlichen Person so viel Kraft und Ausdauer zugetraut. Er selbst hätte schon im unteren Teil der Hügel kapituliert. Amy jedoch schien auf dieser Matschpiste genauso heimisch zu sein wie eine Schlittschuhläuferin auf der Eisbahn. Mehr noch, sie schien den Höllentrip regelrecht zu genießen.
    Ray warf ihr einen unauffälligen Blick zu. Ihre langweilige Karobluse, die dunkelgrünen Bermudas mit aufgesetzten Taschen und die hochgeschnürten Treckingstiefel wirkten zwar betont unweiblich, konnten aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass sie ausgesprochen attraktiv war. Ihre Augen waren von einem undefinierbaren Farbton, der – je nach Umgebungslicht – irgendwo zwischen dunkelbraun und violett lag. Das Licht der Armaturen enthüllte ein zufriedenes Lächeln, während sie mit den Fingern den Takt zu einem alten Creedence Hit klopfte, der aus dem Radio kam.
    Ray versuchte ruhiger zu werden und summte leise die Melodie von
Who’ll stop the Rain?
mit.
    Nach einigen hundert Metern lichtete sich der Nebel, die Luft wurde klar und durchscheinend. Helle Punkte tauchten zwischen den Bäumen auf. Ein grasbewachsener Hang, an dessen Rändern Lagerfeuer entzündet worden waren, lag vor ihnen. Kerzen, Gaslampen und ein großes Feuer erleuchteten die umliegenden Bäume. Ray erblickte Holzhütten, Tische und Zelte, die auf dem Gras wie hingewürfelt aussahen, dazwischen Kisten, Schirme, Bänke, Menschen und Fahrzeuge. Qualm von einer Kochstelle stieg in die Luft und verteilte sich zwischen den Baumkronen.
    Er stieß einen Seufzer der Erleichterung aus. Die achtstündige Fahrt über buckelige Pisten und durch knietiefe Wasserlöcher war zu Ende.
    Amy trat noch einmal aufs Gas, scheuchte den Toyota einen letzten rutschigen Hügel hinauf und stellte ihn neben einige andere Jeeps, an deren Türen das markante Logo der Organisation prangte.
    Ray gähnte herzhaft. Gott, würde es schön sein, endlich wieder festen Boden unter den Füßen zu haben.
    »Willkommen im Basecamp.« Amy schaltete das Licht aus und stellte den Motor ab. »Schnappen Sie Ihren Rucksack und folgen Sie mir.«
    Ray schwang die Beine aus dem Wagen und dehnte seine Gelenke. Sein Rücken antwortete mit einem besorgniserregenden Knacken. Wie ein alter Baumstamm, schoss es ihm durch den Kopf. Das Alter kam mit schnellen Schritten.
    Doch das Panorama ließ die düsteren Gedanken schnell vergessen. Genau gegenüber, auf der anderen Seite des Tals, reckte der
Gahinga
seine mächtigen Flanken aus dem Bodennebel. Ein letzter Strahl der untergehenden Sonne tauchte seine Spitze in flammendes Rot. Dahinter, nur noch schwach erkennbar, folgten der
Sabyinyo
mit seinem markant ausgezackten Rand, der
Muside
und der
Visoke
. Die letzten beiden Vulkane der Kette, der
Karisimbi
und der
Mikeno,
waren kaum mehr als zwei hingeschmierte Farbflecken, halb verwaschen im Licht der afrikanischen Dämmerung. Von überall waren die Geräusche des Waldes zu hören. Das Kreischen der Affen, das Zwitschern von Vögeln und das Summen von Insekten. Das Land vibrierte vor Leben.
    Fröstelnd machte Ray kehrt. Kühl war es hier oben. Kühl und feucht. Die Luft war geschwängert mit dem Duft exotischer Blumen und
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