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Korona

Korona

Titel: Korona
Autoren: Thomas Thiemeyer
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sie die Outskirts von Kampala streifte, besonders vorsichtig sein musste.
    Die Nachricht vom Unglück der Maschine aus Addis Abeba, die heute Morgen bei der Landung vom Runway abgekommen und in eine nahe gelegene Baumreihe gekracht war, hatte sie unkonzentriert werden lassen. Wie die Nachrichten meldeten, war die Maschine der Ethiopian Airlines in schweres Wetter geraten. Elektrische Aufladungen in der Atmosphäre hatten die Instrumente verrücktspielen lassen, hieß es. Von einem Ausfall der Navigationsinstrumente war die Rede gewesen. Was auch immer geschehen war, der Pilot war offenbar einem Irrtum aufgesessen, was die Höhe betraf, und hatte die Maschine erst runtergedrückt, als die Hälfte der Landebahn bereits hinter ihm lag. Ein Notstart wäre vermutlich sinnvoller gewesen, doch ob das unter den Bedingungen noch möglich gewesen wäre, war fraglich. So hatte er eine Notbremsung hingelegt, bei der das Fahrwerk weggeknickt war. Noch ein paar Meter weiter und die 757 wäre durch eine Ansammlung von Wellblechbaracken gepflügt. Nicht auszudenken, wie viele Menschen dabei ums Leben gekommen wären. So aber hatte es offenbar nur Leichtverletzte unter den Passagieren gegeben. Was die Sache für Amy prekär machte, war die Tatsache, dass ein neues Teammitglied für ihre Forschungsgruppe an Bord dieses Flugzeugs war. Ein. Sein Name war Ray Cox, ein Ire. Viel mehr wusste sie nicht, außer dass dieser Mann zehn Jahre im Gefängnis gesessen hatte und erst vor kurzem freigekommen war. Zehn Jahre. Für Amy eine unvorstellbar lange Zeit.
    Ihre Augen blickten ruhelos hin und her, während sie in das Gewimmel von Kampalas Stadtverkehr eintauchte. Für jemanden, der sich hier nicht auskannte, musste es wie ein einziges Chaos wirken, wie die unkontrollierte Bewegung von Millionen kleinster Moleküle. Hier gab es keine Straßennamen, keine Schilder, keine Markierungen, nur ungeteerte Matschpisten. Fußgänger, Fahrräder und Mopeds schienen von allen Seiten zu kommen. Dazwischen Lkws, die sich unter Ausstoß schwarzer Rußwolken durch die Menge schoben. Immer wieder blieben Fahrzeuge stehen, scherten aus oder überholten einander in waghalsigen Manövern. Menschen riefen einander etwas zu und drängten über die Straßen, während Lärm und Staub Ohren und Nase betäubten. Hupend und unflätige Handzeichen machend, setzte Amy ihren Weg fort.
    Zehn Jahre. Als Verhaltensforscherin wusste sie, wie sehr eine solche Erfahrung einen Menschen prägte. Es war nicht davon auszugehen, dass der Mann in irgendeiner Form resozialisiert war, sie machte sich in dieser Hinsicht keine Illusionen. Es gab Dutzende von Untersuchungen, die bestätigten, dass langjährige Haftstrafen die Psyche eines Menschen nachhaltig veränderten – und zwar nicht im positiven Sinne. Die meisten kriminellen Verhaltensweisen erlernten die Häftlinge erst vor Ort. In vielen Gefängnissen herrschten Herrschaftsstrukturen, die mit der normalen Welt außerhalb nichts mehr zu tun hatten. Es war eine eigene Welt mit eigenen Machtverhältnissen und eigenen Gesetzen. Nirgendwo wurde mehr gelogen und betrogen als hinter Gittern, ganz abgesehen davon, dass viele Häftlinge drogenabhängig wurden.
    Dass ein solches Subjekt Teil ihres Teams werden sollte, war selbst nach den zwei Wochen, seit sie diese Information erhalten hatte, immer noch schwer nachvollziehbar. Was sollte das werden? Eine Wiedereingliederung in die Gesellschaft? Eine Therapie im Stile von ›Schwimmen mit Delphinen‹? Dafür gab es sicher bessere und qualifiziertere Alternativen als ein Team von Gorillaforschern. Wäre es jemand anderer als Professor Dr.Conrad Whitman gewesen, der sie darum gebeten hatte, Amy hätte der Sache sofort einen Riegel vorgeschoben. So aber waren ihr die Hände gebunden. Whitman war nicht nur mit Leib und Seele Verhaltensforscher, er war eine Institution. An der Seite von Dian Fossey, der berühmten Gorillaforscherin, hatte er sich für den Erhalt des Virunga-Nationalparks starkgemacht und den Schutz der dort lebenden Berggorillas zu seinem Lebensziel erkoren. Nach der Ermordung Fosseys hatte er die Schirmherrschaft über die Gorilla-Gesellschaft übernommen und einen Fonds ins Leben gerufen, aus dem die Forschung und der Schutz dieser im höchsten Maße bedrohten Menschenaffen finanziert wurden. Für Amy war Whitman mehr als nur ein Forscher. Er war ihr Doktorvater und ihr Freund, ihr Mentor und Vorgesetzter, ihr Ratgeber und Finanzier – alles in einer Person. Ihm einen
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