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Korona

Korona

Titel: Korona
Autoren: Thomas Thiemeyer
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nicht, dass du das verstehst«, sagte er. »Aber ich möchte nicht immerzu bedauert werden. Ich bin es leid, ein Opfer zu sein. Nur … das ist in dieser Welt nicht mehr möglich. Es ist zu viel geschehen. Zu viel, als dass ich es vergessen könnte. Zu viele Narben. Nachts, wenn ich die Augen schließe, sehe ich die Gesichter vor mir. Gesichter von Menschen, die von mir gegangen sind. Geliebte Menschen. Verhasste Menschen.
Tote
Menschen. Sie sind wie Geister, die mich nicht mehr ruhig schlafen lassen. Dort drüben, auf der anderen Seite, habe ich diese Gesichter nicht mehr gesehen. Sie waren fort. Es war das erste Mal seit vielen Jahren, dass ich wieder ruhig schlafen konnte. Und der Schlaf hat mir den Weg gezeigt.« Er nahm ihr Gesicht in die Hände und küsste sie zärtlich auf den Mund. Als er sie nach einer kleinen Ewigkeit wieder freigab, spürte sie seine Tränen auf ihren Wangen. »Wünsch mir Glück, Amy. Ich werde immer an dich denken.«
    »Bitte bleib«, flüsterte sie. »Bleib bei mir.«
    Er schüttelte den Kopf. »Es geht nicht, bitte versteh das. Macht es gut, Freunde! Ich werde nie vergessen, was ihr für mich getan habt. Macht diese Welt zu einem besseren Ort und passt gut auf euch auf.« Mit diesen Worten klopfte er dem Affen auf den Rücken. »Komm, K’baa, es wird Zeit.«
    Die schweigsame Prozession der Gorillas war beinahe zum Ende gekommen. Nur noch etwa zwanzig Tiere waren übrig und beeilten sich ebenfalls, ins Licht zu gehen.
    Die gleißende Kugel leuchtete jetzt merklich schwächer. Ein zögerndes Flackern kündete vom Ende des Sonnenzyklus und von der Schließung des Portals. Kurz ehe er und der G’ombe die äußere Peripherie erreicht hatten, drehte Ray sich noch einmal um. »Danke für eure Hilfe«, rief er. »Ohne euch hätten wir es nicht geschafft. Ich wollte es ja eigentlich für mich behalten, aber ich möchte euch zum Dank noch ein Geschenk machen. Wenn ihr etwas wirklich Aufsehenerregendes entdecken wollt, dann fangt an, an dieser Stelle zu graben. Ich denke, es wird euch gefallen.« Er öffnete seine Tasche, holte einen kleinen Gegenstand heraus und warf ihn Richard zu. »Macht keinen Unsinn und nutzt es für einen guten Zweck. Schenkt diesem Land eine neue Zukunft. Und jetzt lebt wohl, Freunde. Vielleicht sehen wir uns eines Tages wieder.«
    Sein letzter Blick galt der Biologin, als er rücklings in das Portal trat und in einer Kaskade reinster Energie verschwand.
     
    Amy starrte wie hypnotisiert in das gleißende Portal. Sie fühlte sich leer, ausgebrannt. Ray und K’baa waren verschwunden, zusammen mit all den Berggorillas. Das Licht tat ihr in den Augen weh, doch sie ließ den Schmerz zu. Es war, als wäre er die letzte Brücke zwischen ihr und Ray.
    Richards Stimme drang von außen in ihre kleine Welt. Langsam, wie in Trance, bewegte sie den Kopf.
    »Hm …?«
    »Ich sagte, warum gehst du nicht mit ihm?«
    Sie schüttelte den Kopf.
    »Weil ich nicht kann. Es gibt viel zu tun, zu viele Verpflichtungen. Das Team, das Lager, Whitman. Auf mich wartet ein Berg von Arbeit.«
    »Scheiß auf die Verpflichtungen.«
    Sie hob überrascht den Kopf. »Wie meinst du das?«
    Richard legte seine Hand auf ihre Schulter. »Entschuldige bitte, aber Whitman hat dich ins offene Messer laufen lassen. Du schuldest ihm nichts. Und uns schuldest du auch nichts. Wir sind deine Freunde und wir werden dich vermissen, aber wir wollen nicht, dass du unseretwegen unglücklich wirst. Es ist an der Zeit, dass du etwas für dich selbst tust, habe ich nicht recht?«
    Die anderen nickten.
    Mellie berührte ihre Hand. »Hör, was dein Herz dir sagt, und folge ihm. Wir werden dafür sorgen, dass alles seinen gewohnten Gang geht, nicht wahr, Richard?«
    »Natürlich werden wir das.« Er hob ihr Kinn und blickte ihr tief in die Augen. »Komm schon, Amy. Jetzt bist du an der Reihe.«
    Das Licht des Portals flackerte schon merklich schwächer. Nur noch wenige Augenblicke, dann würde es sich für immer schließen.
    »Aber ich kann doch hier nicht alles stehen und liegen lassen. Es ist meine Pflicht …«
    »Jetzt platzt mir aber bald der Kragen«, sagte Mellie. »Dein ganzes Leben bestand nur aus Pflichten. Es wird Zeit, dass du das mal begreifst. Dich hält doch hier nichts mehr!«
    Amy stutzte. Genau das waren die Worte ihres Vaters gewesen:
Mach nicht den gleichen Fehler wie ich,
hatte er gesagt.
Verliere dich nicht zu sehr in deinen Pflichten. Vergiss nicht zu leben. Du hast nur diese eine Chance.
    »Meint
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