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Pinguine lieben nur einmal

Pinguine lieben nur einmal

Titel: Pinguine lieben nur einmal
Autoren: Kyra Groh
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PROLOG
    Natürlich weiß ich, dass Beziehungen nie so sind wie im Fernsehen. Das nur mal vorweg.
    Ich muss gestehen, dass ich sehr gerne fernsehe. Und ich schaue viel zu oft ziemlich großen Mist. Eines habe ich dabei aber gelernt: Produzenten und Drehbuchautoren jubeln uns immer wieder solche Beziehungen unter, von denen wir hoffen, dass wir sie eines Tages erleben werden.
    Besonders der Anfang dieser Beziehungen läuft in romantischen Komödien stets nach Schema F ab. Die Erforschung besagten Schemas beschäftigt mich mehr oder weniger bewusst seit etlichen Jahren. Na ja. So etlich, wie Jahre eben sein können, wenn man zwanzig ist.
    Besonders gerne gucke ich Sendungen und Filme, die ich mit grausamem Humor Bildungsfernsehen zu nennen pflege und die dem menschlichen Hirn alles zufügen, nur keine Bildung. Die Privatsender zeigen sie am liebsten zur Prime Time, damit möglichst viele kitschverwöhnte Frauenherzen zusehen, mit den falschen Idealen gefüttert werden und sich Hoffnungen darauf machen, dass auch ihnen eines Tages eine formvollendete Liebesgeschichte widerfährt. Sat.1 ist ein wahrer Spezialist in Sachen Kitschfrauenverwöhnung. Jeden Dienstag läuft ein sogenannter Family Movie, der an Klischees und Schnulz und– ja, ich gebe es zu– an neidischen Seufzern meinerseits kaum zu überbieten ist.
    Darin halsüberkopfen sich Zimmermädchen und Millionäre, oder alleinerziehende Mütter von Samenbankzwillingen vergucken sich mit einer zeitlichen Verspätung von sechzehn Jahren in die Erzeuger ihrer Kinder. Die Filme haben dann poetische Namen wie Noch ein Wort und ich heirate dich! und jagen mir grausige und wohlige Schauer zugleich über den Rücken.
    So gerne ich diese Formate auch schaue, sie regen mich dermaßen auf, dass ich regelmäßig vor dem Fernseher sitze und Selbstgespräche führe. Aber Unterhaltungen mit mir selbst sind oft unausweichlich, weil mein Mitteilungsbedürfnis nun mal sehr groß und nicht immer ein Gesprächspartner in Reichweite ist.
    Natürlich sorgen die Filme dafür, dass meine Anforderungen an Männer, Beziehungen und romantische Taten ins Unermessliche wachsen. Allein deshalb sollte ich sie lieber nicht gucken. Aber ich mag sie. Sie sind so schön… berechenbar. Trivial und berechenbar– aber mir gefällt es nun mal, wenn alles so läuft, wie ich es haben will.
    Schon um 20.13Uhr weiß ich, wie mein Dienstagabendfilm verlaufen und ausgehen wird. Das erspart mir böse Überraschungen. Mal ehrlich: Würde das blöde Kindermädchen den seitengescheitelten Millionär nicht bekommen, dann würde ich es in Betracht ziehen, den Sat.1-Pro7-Konzern wegen seelischer Grausamkeit zu verklagen oder den Programmdirektor mit einer Axt zu bedrohen.
    Ich brauche die Gewissheit, dass trotz vorhersehbarer Schwierigkeiten, unlogischer Handlungsstränge und trivialer Streitigkeiten am Ende alles gut wird.
    Ich weiß, wie diese Filme funktionieren, das lässt in mir eine innere Ruhe entstehen, die verhindert, dass ich beim Fernsehgucken in Tränen ausbreche. Denn das passiert mir oft. Ich muss weinen, wenn ein deutscher Gewichtheber seiner verstorbenen Frau eine olympische Goldmedaille widmet, wenn Kai Pflaume indische Mütter und amerikanische Väter aus der Versenkung holt oder wenn Thomas J. in My girl – Meine erste Liebe stirbt, obwohl er doch Artist werden wollte.
    Alles nur, weil ich nicht schon vorher wusste, wie es endet. Ich konnte ja nicht ahnen, dass dieser Sportler Gold holt. Ich konnte nicht sicher wissen, dass das verschollene Familienmitglied vom Nur-die-Liebe-zählt -Karavan gefunden wird, und ich verlange von einem Jugendfilm, dass alles mit einer großen Party und Kerzen und Torten und Einhörnern endet– und nicht mit einem toten Macaulay Culkin.
    Beim Sat.1-Family-Movie bin ich vor solchen televisionären Überraschungen sicher.
    Der Grund ist folgender: Alle Filme laufen nach demselben Schema ab. Dabei sind die Macher nicht wirklich innovativ, denn das Sat.1-Prinzip hat sich ein alter Grieche namens Aristoteles ausgedacht, und seit jeher sind Dramatiker von der Wirkung dieses Prinzips überzeugt.
    Der Aufbau des klassischen Dramas lässt sich fast ohne Umschweife auf Liebesschnulzen übertragen.
    Es fängt an mit dem ersten Akt. Der EXPOSITION . Meister Aristoteles, Schiller und Konsorten wollen, dass darin alle Figuren, Konflikte und Beziehungsstrukturen vorgestellt werden. Fein. Wird auch beim Fernsehfilm so gemacht. Von Viertel nach acht bis circa zwanzig vor neun
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