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KopfKissenKino - Hinterhaeltig Unerwartetes

KopfKissenKino - Hinterhaeltig Unerwartetes

Titel: KopfKissenKino - Hinterhaeltig Unerwartetes
Autoren: Peter J. Scholz
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heute.
     
    Als es wieder mal soweit ist, dass die Worte vor mir auf dem Papier beginnen Ringelreihen zu tanzen, ohne dass auch nur eines von ihnen gewillt wäre, sich von meinem Stift pflücken und auf dem Schreibgut festgehalten zu werden, lege ich das Schreibgerät zur Seite und atme tief durch.
    Die Pizza im alten Backofen könnte so langsam mal fertig werden, denke ich. Die Fenster in der Wohnung habe ich schon geschlossen, es ist ein wenig frisch geworden – doch die Heizung will ich jetzt – Mitte September 1996 – nicht schon anwerfen. So sitze ich in der Wohnküche am Tisch. Der Duft lenkt meine Gedanken noch weiter weg von meiner Arbeit. Das Knurren des Magens ist der Hintergrundchor dazu.
    Und da liegt noch etwas anderes in der Luft, das mich müde werden lässt.
    Nur ein Schläfchen, denke ich. Das wär jetzt was Feines.
    Ein Blick zum Ofen von meinem Platz aus zeigt mir, dass es wohl noch fünf Minuten sind, bis er die Pizza freigeben wird. Die gestellte Küchenuhr tickt die S ekunden weg. Nochmal atme ich tief ein.
    Und schließe die Augen. Als ich sie wieder öffne, stehe ich draußen vor der Tür, die Jacke in der Hand.
    Ich bin vor zwei Jahren – nach dem Tod meines O nkels – in dessen Wohnung eingezogen.
    Wände von Bücherregalen gesäumt, die Einrichtung wenig stens zwanzig Jahre alt, wenn nicht älter.
    Der Gute war ständig in der Weltgeschichte unte rwegs, machte sich über sein Dach überm Kopf nur soweit Gedanken, dass er eins hatte. Und eine Tür, die er hinter sich schließen konnte, wenn die Welt ihn zu sehr bedrängte.
    Durchatmen. Zur Ruhe kommen. Und dann die Tür öffnen, um sich der Welt wieder zu überantworten.
    Er war Auslandskorrespondent. Ihn zog es immer zu den Orten dieser Welt, wo sich der Wandel vollzog.
    Er liebte dies.
    Etwas Neuem beiwohnen zu dürfen, die Hoffnung greifbar mit Augen, Ohren, Mund und Händen.
    Wobei auch immer Gewalt im Spiel war.
    Denn das Alte setzt sich zur Wehr. Immer.
    Mit allen Mitteln.
    So war er im mittleren Osten tätig, als er offenen Auges sein Ende kommen sah. In Form einer Kugel, die sein immer neugieriges Auge für immer schloss.
    Und sich seine Wohnung für mich öffnete.
    Hier – inmitten der auf Papier festgehaltenen Geschichte – konnte ich wirken. Zumindest eine Weile lang. Bis mich die Lektüre seiner Buchregale dazu brachte, sich meine Arbeiten genauer zu gegenwärtigen, als ich dies bislang getan hatte.
     
    Mein neuester Kandidat ist so einer.
    Eine Figur der Öffentlichkeit. Glamourös. Gut auss ehend. Ein Mann in seinen besten Jahren.
    Und mit einem so unaussprechlichen Geheimnis, dass es mich ekelt, so sehr in seinem Kopf sein zu dürfen. Zu mü ssen.
    Aber Vertrag ist Vertrag.
    Das, was uns prägt, formt uns. Lässt unsere Handlungen in einem anderen Licht erscheinen.
    Aus diesem Grund hat er mir sein Geheimnis anve rtraut. Nicht um es preiszugeben – oh nein. Da ist ein Passus im Vertrag, der dies unmissverständlich ausklammert.
    Aber ich darf es benutzen , um seine daraus gewonnene Tugendhaftigkeit zu unterstreichen.
    Mich schüttelt es vor Selbstekel.
    Ich ziehe die Jacke an und sehe mich um.
    Die Straße liegt einsam in beide Richtungen, hier und da eine matt scheinende Lampe, die hilft Auszüge der Nacht zu b ebildern.
    Dort blättert der Wind eine Tageszeitung auf und zu. Als wäre er unschlüssig , überhaupt einen interessanten Artikel finden zu können.
    Eine leere Coladose rollt an mir vorbei, legt kurze Pausen ein , nur um ihren Weg ein paar Meter weiter fortzusetzen.
    Da ich selbst unschlüssig bin , wohin ich meine Schritte lenken soll, gewähre ich der Dose das Privileg die Rolle des Führers durchs Dunkel zu übernehmen.
    So rollt sie voraus und ich folge, langsam schle ndernd, durch diesen Teil der schlafenden Stadt.
    Meine Gedanken finden nach und nach Ruhe.
    Die Stille in meinem Kopf wird durchdringend.
    Als die Dose die nächstgelegene Kreuzung erreicht, bleibt sie nach einer Drehung in einem städtischen Blumenbeet liegen.
    Ich erlaube ihr, sich auszuruhen und sehe mich um.
    Alle Straßen führen weiter in die Nacht.
    Ich habe nicht das Bedürfnis zu wissen, wohin genau um diese Stunde, so wende ich mich nach links.
    Unter dem monotonen Blinken der auf gelb geschalteten Ampel über die Straße an dem letzten Häuserblock vorbei.
    Dann geht der Bürgersteig abgeflacht in Schotter über. Dahinter schließen sich Büsche, Sträucher und Bäume an. Ich trete auf die Straße und weiß einen Moment
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